Das Maxim Gorki Theater und eine Rebellin im Dienst der Kunstfreiheit

Mit gerade mal 444 Plätzen ist das sich mitten in der Stadt befindende Theater das kleinste Staatstheater der Republik. In der Ausübung der Theaterkunst, in all ihren immens wichtigen Nuancen, ist das „Gorki“ ein lebendiger Wächter über den Zeitgeist weit über die Grenzen von Berlin und Deutschland hinaus.

Nach den Plänen des Architekten Karl Friedrich Schinkel, der sich in der historischen Mitte Berlins mehrfach verewigt hat, wurde die Ausführung durch den Baumeister und Architekten Carl Theodor Ottmer vollendet. Die Chorvereinigung der Singakademie zu Berlin brauchte eine Spielstätte. Heute sticht das mehrfach ausgezeichnete Theater im klassizistischen Stil hinter den Kastanienbäumen hervor. Zuletzt 2016 wurde das Haus zusammen mit der Volksbühne von der Zeitschrift „Theater heute“ als „Bestes Theater der Republik“ gekürt.

Benannt ist das „Gorki“ nach dem russischen Schriftsteller Maxim Gorki. Es wurde 1952 als „Ort zur Pflege russischer und sowjetischer Theaterkunst“ gegründet. Nach dem Bau des benachbarten Containers vergangenen August als Alternative während der Zeit der Renovierungen im Hauptsaal sticht die Ecke noch eindrucksvoller im Stadtbild hervor.

Gedenktafel zur Geschichte des Gebäudes
Gedenktafel zur Geschichte des Gebäudes

Keine Angst vorm Scheitern

In der Theaterlandschaft der Weltmetropole Berlin ist das „Gorki“ sicherlich dasjenige, das die meisten Risiken eingeht. Ein bemerkenswertes Ensemble, das wortwörtlich vor Internationalität strotzt. Ihre Mitglieder tragen die Namen Maryam Abu Khaled, Anastasia Gubareva, Orit Nahmias, Abak Safaei-Rad, Mehmet Yilmaz, u. a. Und wer glaubt, dass sie allesamt aus der Ferne kommen, wird beim Durchlesen der Biographien Augen machen. Viele davon sind in Berlin geboren, will heißen: Das Ensemble des „Gorkis“ spiegelt ein Berlin wider, was viele nicht wahrhaben wollen, insbesondere die Herren des Heimatministeriums, die als Bonus dieses Ressort zusätzlich bekamen und die falschen Signale an die Gesellschaft senden.

Das etwas anderes Grundgesetz
Das etwas anderes Grundgesetz

Die Inszenierungen könnten nicht unterschiedlicher sein. Manche bleiben hinter den Erwartungen zurück, wie „Anna Karenina oder Arme Leute“ nach Tolstoi und Dostojewski. Das Bühnenbild war die einzige Überraschung bei der Inszenierung. Das gewagte Experiment war die Bühne, die in Eisenbahnschienen verwandelt wurde, worauf die Schauspieler mit Karren herein und hinausgefahren wurden. Auch ein in der Luft hängender Flügel lässt erahnen, dass das „Gorki“ immer eine Idee voraus ist und dazu noch Bühnenbildner und Techniker hat, die die Bezeichnung überragend verdienen.

Eine Rebellin mit immer stets wachsamen Augen fürs Theater

Die Pfarrerin Margot Käßmann sagte einmal: „Frauen, seid trotzig und frei!“. Der Moderator und Buchautor Roger Willemsen, im Dezember 2011 bei der Veranstaltung „Angriff auf die Demokratie“, reflektierte: „Ich würde gerne begründen warum es notwendig ist, dass wir Lebensräume schützen und dass der Lebensraum in dem sich Kulturvertreter in irgendeiner Weise beheimatet fühlen, einer ist, der von dieser Finanzwelt ebenfalls bedroht ist und das geht bis in die Vertreibungsform von Gedanken in Reflexionsweisen, in Wahrnehmungstypen, in künstlerischen Genres, in Sprechform im massenmedialen Raum“ […] „Es ist notwendig mit einer gewissen Dringlichkeit, eine Form von Einspruch zu formulieren“ […] „die aber kompetent sind für Vorgänge im Bereich des Bewußtseins“[…] „denn Kultur, in ihrem fundamental immateriellen Sinn, besteht nicht aus dem Erwerb von Produkten, sie besteht im Wesentlichen aus dem was die Rezeption dieser Werke aus unserem Ahnen, Fühlen, Glauben, Meinen, Vermuten, Wehnen, Albernwerden und Begehren“ anbetrifft.

Politikverdrossenheit, das Vergessen und die ungleiche Teilung der Gesellschaft sind immer wiederkehrende Merkmale der Programmatik im „Gorki“, einem zweifelsohne sehr politischen Theater.

4. Berliner Herbstsalon

Kunst | Theater | Akademie

Am Donnerstag, dem 24.10., sind Presse und Blogger eingeladen und von der Intendantin höchstpersönlich durch die zu dem Zeitpunkt nicht ganz fertige Ausstellung geführt worden. Wie immer zeigte sich Shermin Langhoff kommunikativ und anfänglich etwas verlegen, um uns nachher mit Wissen, Begeisterung und Vermarktungsgeschick in ihren Bann zu ziehen. Aus der Cafeteria noch an der Treppe verkündete sie: „Ich bin schon da!“, während die verspäteten Kollegen eintrafen. Auf einem Tisch waren Mineralwasser, Orangensaft und belegte Brötchen für Vegetarier und für Spiegeleiliebhaber.

Ein paar Minuten bis es losgeht, geht sie auch mal nach draußen, in einer Hand die Zigarette, in der anderen der Tee und zwischen allem viele Programmhefte. Die Presseleute mussten sich am Pressecounter melden. Dort gab es eine schwarze Tasche mit Pressematerial, einem Bleistift und einem Kuli im Format eines Besens, worüber ich mich noch vor der Pressemitarbeiterin köstlich amüsierte: „Das passt zum emanzipatorischen Diskurs“, sagte ich, als ein sehr unangenehmer Zeitgenosse, ein freier Journalist aus dem Sektor Berliner Schnauze, meinte: „So, wir wollen das mal beenden!“, obwohl er nicht dran war, obwohl es keine Schlange gab.

Die Arroganz vieler männlicher Kollegen auf der Intendanten-Etage hat Frau Langhoff nicht. Im Gegenteil: Man kann sie ansprechen, mit ihr ein Stück von einer Location zur anderen laufen und zum Beispiel dabei erfahren, dass für das Herzstück des Herbstsalons, nämlich die „Young Curators Academy“, 350 Bewerbungen aus der ganzen Welt eingetrudelt sind. Ursprünglich, so Langhoff weiter, „sollten 30 ausgewählt werden, aber wir haben drei andere so toll gefunden, dann haben wir …“ „ein bisschen erweitert“, fügte ich hinzu.

Nische in der postmigrantischen Kuschelecke?

Im Interview mit Arno Widmann im Frühjahr für die Berliner Zeitung hieß es „mehr als eine postmigrantische Kuschelecke“. Freilich! Shermin Langhoff ist wachsam, fachlich auf ihrem Gebiet konkurrenzlos, exzellent vernetzt und bestens informiert, wie es in den Theatern der Welt en detail zugeht, also die perfekte Besetzung für dieses Theater, dessen DNA die Nonkonformität ist. 120.000 Besucher aus Ost und West und aus allen gesellschaftlichen Schichten ist eine Bestätigung zum Konzept.

Am Rande des Presserundganges sprach die Intendantin exklusiv mit dem Blog. Vor ein paar Wochen waren Sie in Lissabon auf der EASTAP (European Association for the Studies of Theatre and Performance) und haben dort die Keynote gehalten unter dem Motto:
Taking history personally – Knowing that neither memories are already memory, nor stories are already history

Wie steht es um das europäische Theater im Schatten vom kometenhaften Aufstieg von Populismus und Rechtsextremismus?

Angesichts dieser Herausforderung, die wir überall in Europa erleben, sind Allianzen zu bilden unter den Kunst- und Kulturschaffenden und den Theatern, um durchaus zu fragen, wie kann man bei diesen Herausforderungen in allen europäischen Metropolen mit gewachsener Diversität Theater für die Stadt und mit der Stadt machen? Diese Fragen stellen auch die Kollegen aus Portugal, aus Italien, aus Frankreich, aus den nordischen Ländern, natürlich alle in ihrem jeweiligen, spezifischen politischen Kontext, aber es gibt eine gemeinsame Herausforderung.

 

 

Inberlin:
Das Gorki-Theater ist zusammen mit anderen Staatstheatern eine Visitenkarte für Berlin. Wie viel Druck (von Kollegen, von der Öffentlichkeit) erfahren Sie als Frau von einem der besten Theater der Republik? Ist es leicht eine IntendantIN zu sein?

Langhoff:
Leicht oder anstrengend sind keine Kategorien, mit denen man Arbeit für eine öffentliche Institution vergleichen kann. Es ist so, dass nichts von dem, was wir machen, geschenkt, sondern erkämpft wird. Es sind auch gesellschaftliche Kontexte, nicht nur Theaterkontext. Es geht immer um Ressourcen in einer Gesellschaft und wie sie verteilt werden und da gibt es Ungerechtigkeit. Wenn wir die Geschichten und die Menschen, die dazu kommen, ignorieren, werden wir nicht friedliche Städte haben. Dagegen stehen wir an. Das erfordert ein anderes Engagement.

Inberlin: Beim Herbstsalon, worauf freuen Sie sich am meisten?

Langhoff: Ich freue mich auf die Young Curators Academy am meisten.

Über zwei Stunden erzählte Frau Langhof über die Künstlerinnen (der feministische Ansatz ist eindeutig und bewusst gewollt), ließ uns von Raum zu Raum gehen, insbesondere im Palais am Festungsgraben. Sicherlich keine besonders gute Wahl durch die Enge der meisten Räume. Auch die sehr spezielle Dekoration lenkt von den Arbeiten ab. Das Palais liegt aber direkt neben dem Theater, also vermutlich eine pragmatische Wahl. Im Jubiläumsjahr des Mauerfalls ist die East Side Gallery mit von der Partie sowie das Haus der Statistik und das Zeughauskino für die Vorführung der Filme.

Ausgezeichnet!

2016 wurde das „Gorki“ zum besten Theater der Republik gewählt. Den Preis, verliehen von der Zeitschrift „Theater heute“, wurde mit der Volksbühne geteilt. Das Programm ist nicht begrenzt auf die Bühne und auch nicht aufs Theater als einzige Ausdrucksform. Die 4. Ausgabe des Herbstsalons untermauert das. Eine diskursive Intervention in Form einer Konferenz vom 25. bis 27.10. nahm den wieder en vogue gewordenen Begriff „Heimat“ in die Pflicht, entkräftete ihn, dekonstruierte und stiftete ein neues, zeitgemäßes Verständnis oder eine neue Definition.

Die Heiliginnen von Lea Draeger

Mehr als 3.000 Besucher*innen kamen zur Eröffnung des Berliner Herbstsalons am 26.10. ins Maxim Gorki Theater. Vor der Berliner Premiere von „Jedem das Seine“ fanden sich Kulturschaffende um die Künstlerin Hito Steyerl zu einer politischen Intervention auf der Bühne zusammen – und forderten den sofortigen Rückzug der türkischen Armee aus Nordsyrien, heißt auf der PM vom 28.10.

Genau an dem Wohnende, an dem die AfD bei der Landtagswahl in Thüringen zur zweitstärksten Partei (selbstsicher an der CDU vorbei) avancierte, und am selben Wochenende, an dem ein gefährlicher Björn Höcke sich rehabilitiert und wieder träumen darf, in diesem Land „etwas großes zu werden“, wie er beim ZDF-Interview vor einiger Zeit noch prophezeien konnte. Während Höcke den Begriff „Heimat“ fast heilig spricht, verweisen Forscher, Soziologen und Professoren auf die Verbindung des Begriffs Heimat (Vaterland) mit den Fesseln des Patriarchats, mit Sexismus und Rassismus. Deutschland befindet sich im Jahr 2019 vor einem Umbruch im Parteisystem mit eindeutiger Zuneigung für die Extreme.

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About Fatima Lacerda

Kultur, Fußball, Musik sind meine Leidenschaften. Reiseberichte sind ein Genuss!

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One comment

  1. Moin,
    wieder ein sehr gelungener Beitrag.
    So viele Informationen zusammen zu tragen, macht sicher auch immer eine Menge Arbeit.
    Komme bestimmt öfter mal vorbei, um zu sehen ob es etwas Neues gibt.
    Schöne Grüße aus B
    Ronny

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