In der Gegend, wo früher hart für eine Zukunft ohne Atomenergie- und -Kraftwerke gekämpft und gesellschaftlich erhebliches bewegt wurde, gibt es seit 2012 in der Kreisstadt des Landkreises Lüchow-Dannenberg einen ganz besonderen Ort, für Fans der besten Band der Welt: Das Rolling Stones Fan Museum.
Ganze drei Autofahrtstunden von Berlin liegt ein magischer und elektrisierender Ort, in dem einen ein genuines Glücksgefühl einem überkommt.

Bei meinem ersten Besuch in dem Ort, im Juni 2024, wurde ich beim Reingehen in eine Art Schockstarre versetzt, die mehrere Stunden andauerte. Alles hier stiftet an, lässt Erinnerungen von Konzerten und unvergesslichen Begegnungen wiederbeleben aber auch neue Entdeckungen über die Band die den Soundtrack unseres Lebens schrieb mit „Satisfaction“, „Ghost City“, „Let’s Spend The Night Together“, „Start Me Up“ und dem Non-Plus-Ultra-Song „Sympathy For The Devil“ und noch immer schreibt, lebendig werden: es sind Mini-Puppen, gewichtige Telefonapparate mit Drehscheibe!!!, zwei Mercedes in voller Größe sind auf der Fläche nebeneinander geparkt, ein legendärer Billiard-Tisch, ein Flipper, mehrere Plakate von Konzerten, Eintrittskarten und Schallplatten der Stones. Weiter hinten in der 1000 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche ist das, was ich als Galerieflur bezeichne. Dort hängen unzählige Originalbilder vom “Verrückten Maler“, Ron Wood und, natürlich Karikaturen vom inzwischen verstorbenen Schlagzeuger Charlie Watts.
Nach einem Flug nach London und einer Vip-Geburtstagsparty vom Bassisten der Band in Dublin, kam Uli zurück ins beschauliche Lüchow und musste seiner Frau mitteilen, er habe den Beruf gewechselt und kündigte an, er werde der europäische Galerist von Ron Wood. Die Ehe hat diese 180 Grad Veränderung überstanden, erzählt Uli mit einem Augenzwinkern beim Exklusivinterview ein paar Minuten später.
Das ist die beste Überleitung zu der Person, die einen der bemerkenswertesten Orte – die ich kenne – erschaffen hat.
Der Macher für alle Fälle
Uli Schröder ist 75 Jahre und ein veritabler Allrounder. Als Einheimischer in der Region aufgewachsen, erfüllte er sich einen Traum und beglückt die ganze Stones Familie, unabhängig von ihrer Provenienz.
An dem Samstagnachmittag (29.03.) habe ich mich zum Museum begeben. Dort war ich mit dem Ideengeber dieses bemerkenswerten und inzwischen weltweit berühmten Museums zum Interview verabredet.
Ich habe darauf bestanden, dass das Interview nach dem ersten Konzert am Freitag stattfindet, damit ich die Eindrücke einer Liveperformance hier in die Fragen mit einfließen lassen konnte.
Uli, wie ihn alle nennen, ist nicht “nur” Ideengeber und Kurator der 10.000 Exponate (ein Drittel davon können die Gäste im Museum beäugen), Gastgeber, Master of Ceremonies, Roady; er packt an und erledigt alles was anfällt.
An jenem Samstag musste er im Vorfeld des ausverkauften Konzerts der Coverband „Voodoo Lounge“ aus Braunschweig mal ans Telefon, mal zur Tür, mal zum Schreibtisch; er lief durch den ehemaligen Supermarkt und trug eine Getränkekiste aus dem Keller in den Großraum. Die Zeit ist schon fortgeschritten und den Mobilteil des Festnetztelefons hat er einer Hand, das Handy in der anderen.
Er kommt an mir vorbei zu den Tresen, wo Sohn Tim uns Getränke aufs Haus angeboten hatte und kündigt an, fürs Interview seine Entourage anzuziehen und verschwindet für ein paar Minuten. Die Entourage hat es in sich: Der Zylinderhut, Zungen-T-Shirt und Frack, alles voll mit Stones Motiven. Witzigerweise wirkt sie nicht als Kostüm, sondern als seine zweite Haut. Er ist der authentische Stones-Botschafter ohne Allüren, aber mit vielen neuen Ideen. Daran lässt er uns teilhaben, als er an den beiden Abenden, die folgenden Konzerte des Jahres ankündigt. Seine Credibility unter den Fans ist so robust, dass alle fast 300 Leute seine Ankündigungen, Einlassungen und kleinen Insidergeschickten anhören, ohne dass es im Raum unruhig wird. Im Gegenteil: Besucher*innen wollen was Neues von den Stones wissen, hören und anschließend Theorien und Thesen entwickeln: Kommen sie nochmal na Europa? Vielleicht war der Auftritt in der Waldbühne 2023 das letzte Mal? Wie geht es den Fingern von Keith Richards? Alles Fragen, die waschechte Stones-Fans in regemäßigen zeitlichen Abständen quälen.
Während des Wartens bin ich mit seinem Sohn, Tim Schröder, ins Gespräch gekommen. Hinterm Tresen erzählt er stolz, dass er seit Januar 2024 der eingetragene Eigentümer ist und wie wir wissen: Eigentum verpflichtet. Das Rolling Stones Fan Museum ist ein Familienbetrieb von Vater, Mutter und Sohnemann in unterschiedlichen Nuancen gemanagt. Der Besucher braucht nicht viel Beobachtungsgabe, um zu wissen: es ist eingespieltes Team.
Der nette junge Mann erzählt mir, dass er die Besessenheit seines Vaters für die beste Band aller Zeiten, nicht geerbt habe. Lediglich 3 Konzerte habe er live erlebt aber strahlt, während er über das Museum erzählt:
„Mein Vater hat hier ein Ort für Gleichgesinnte geschaffen. Das merkt man bei jedem Konzert. Hier kommt ein Schlag Mensch rein, der bringt diese Leidenschaft mit (…) um gemeinsam an diesem Ort die Alltagssorgen vergessen zu lassen, zu feiern und Freude zu verbreiten.” (..) “Wir haben viele Unterstützer aus der Region aber auch aus Berlin, die helfen, ohne was zu verlangen” (…) Wir leben davon, dass die Bands uns Freundschaftspreise machen. (…) Wir haben einen Freundeskreis mit 200 Unterstützern die einen Jahrespreis von 50,00 Euro zahlen. Ohne die könnten wir unsere Fixkosten (Gas, Strom, Grundsteuer, Versicherung) nicht stemmen.

Nun kam Uli in seiner Entourage und das Interview konnte endlich beginnen:
Was bedeuten für Dich die Rolling Stones?
Leider waren die Beatles “Die Braven” und die Rolling Stones “Die Bad Boys” und ich mochte diese Musikrichtung eher und bin kontinuierlich bei dem Thema geblieben. Mick & Keith haben über 400 Lieder geschrieben; für jede Gefühlsrichtung ist etwas Passendes dabei, ob das Balladen oder Rockstücke sind, die sie der Welt geschenkt haben.
Wie ist die Idee entstanden, dieses Paradies im Wendland zu kreieren?
Wir haben zunächst große Ausstellungen zum Thema Rolling Stones gemacht, haben die Fans angestiftet mit ihren Artikeln die Ausstellung ein wenig aufzulockern. So sind wir als kleiner Familienbetrieb vorgegangen. Dann sind wir auf den Gedanken gekommen, dass es gut wäre, wenn es ein festes Haus gäbe, wo man die Sachen etablieren kann. Es war schwer an Geldgeber zu bekommen. (…) Dann hatten wir diesen leerstehenden Supermarkt hier in Lüchow zunächst mieten wollen, haben uns schließlich, nachdem die Eigentümer ein Kaufangebot gemacht hatten (…) und mit 100.000 Euro herunter gegangen sind, zum Kauf entschlossen. Die Umwidmung vom Supermarkt in ein Museum war sehr kostspielig. (…) Wir haben einen Fan-Aufruf in Deutschland gemacht. Es sind insgesamt ein Dutzend verschiedener Fans, die uns geholfen haben, das umzusetzen. Wir haben vier Jahre gebraucht, um das Gebäude nach eigenen Überlegungen zu schaffen. Hier war ein Malermeister aus Leipzig, montags losgefahren und am Freitag zu seiner Familie zurück. Zu DDR-Zeiten konnte er die Stonesmusik nicht lieben. Er hat das ganze Design, was wir uns ausgedacht haben, ausgeführt.
War schon jemand von den Stones schon mal hier?
Ja, der Bassist Darryl Jones der Rolling Stones war hier zwei Mal. Er ist einer unserer Unterstützer. In diesem Jahr kommt er mit seiner Jazzband nochmal.
Auch während mehrerer Gespräche erfahre ich, dass das Museum, dessen Name weltweit einmalig ist und von Sir Mick Jagger persönlich erlaubt werden musste, keinerlei Unterstützung der Stadt Lüchow bekommt. Die Stadt Lüchow profitiert immens von dem Tourismusmagnet, dass das Museum ist: Hotels, Gastronomie, Wandergruppen u.v.a.m. Lediglich im Vorfeld der Eröffnung gab es von der Stadt Lüchow ein Startkapital in Höhe von 100.000 Euro. Deshalb, so erzählt Uli weiter, wollte er das Museum nicht in Köln, Hamburg oder Berlin, sondern in Lüchow.
Die lokale Presse hat das Wochenende, in dem aus ganz Deutschland Gäste kamen, nicht interessiert und keinen Artikel geschrieben. Darüber hat sich der Gastgeber auf der Bühne ausgelassen und stiftete das Publikum an, Briefe an die Redaktion des Regionalblattes zu schicken. Bevor das Museum eröffnet werden konnte, musste viel Arbeit, Geduld und Liebe an den Tag gelegt werden. Der Maler aus Leipzig, der zu DDR-Seiten Ärger bekam, wegen der wilden Musik der Stones, hat über mehrere Wochen die sehr filigranen Malerarbeiten durchgeführt. Bis hin zur Decke ist der unverwechselbare rote Ton zu sehen. Darauf mehrere abwechselnde X-Markierungen. Diese graphische Zusammensetzung ist ein Augenschmaus, einer von vielen in diesem Raum. Detailfetichist*nnen werden hier einen Schatz entdecken, darüber schmunzeln, lachen, staunen und sich überraschen lassen.
Zwei authentische Mercedes sind auf dieser Fläche geparkt. Original-T-Shirts der Band, Karikaturen vom legendären Frontman Mick Jagger. Riesenbanner, Bilderrahmen mit Postern von vergangenen Auftritten der Band, zum Beispiel 1993 in Prag oder das Nonplusultra-Konzert in Havanna, März 2016, kurz nach dem Auftritt im Februar in Rio de Janeiro, wo ich anwesend war. Wir haben darüber berichtet.
Mehr als „nur“ ein Museum mit Exponaten (nur ein Drittel von dem Gesamtarsenal), die warm ums Herz werden lassen, finden auf der großen Bühne auch Livekonzerte statt. Am letzten März-Wochenende (28. & 29.03.) waren wir für inberlin.de, vor Ort dabei. Am Freitag gab es die Eric Clapton Coverband aus Stuttgart und Samstag, als Main Act, die größte Stones Coverband in Europa, based in Braunschweig: Die Voodoo Lounge.
Mutirão der Leidenschaft
Das Wort „Mutirão”* kommt aus dem brasilianischen, bedeutet wenn Freunde und Gleichgesinnte sich zusammenschließen für Gemeinschaftsarbeit. Dieses Wort spiegelt die Essenz des Rolling Stones Fan Museums wieder, wie es entstanden ist, wie es lebt und wie es für künftige Generationen, die dem legendären Gitarristen Keith Richards eine gerechte Welt hinterlassen wollen, weitergehen soll. Alle packen an, alle krempeln die Ärmel hoch: Biergläser werden gespült, in die Kiste eingepackt und zum Lager gebracht wenn das Konzert beendet wurde, aber keiner wirklich von diesem Ort weg möchte.
Die Hocker, versehen mit dem obligatorischen Zungendesign der Stones, müssen für die Mitglieder des Freundeskreises beschriftet werden, alles muss vorbereitet sein, wenn die ersten Gäste kommen. Stones Fans sind, ebenso wie die Band, in die Jahre gekommen. Das bedeutet, die Gäste, die teilweise mit Gehstütze oder sogar mit Rollstuhl kommen, wollen zügig auf ihre Plätze. Das Köstlichste im Publikum war eine Frau, die an den beiden Abenden anwesend war und ihre Krücken als zuverlässigen Tanzpartner hatte. Das hätte Keith Richards amüsiert.
Tim erzählte mir an dem Samstagabend schon bei vollem Haus, dass das ausverkaufte Publikum genau 295 Personen sind. Vorne beim Empfang ist auch immer ein freiwilliger Helfer, der die Leute empfängt und ihnen ein Stempel aufdrückt. Hinten, wie unten im Bild, ist im Übrigen das perfekte Wohnzimmer!
Ein Ort zum Verlieben
Das erste Mal, als ich letzten Sommer diesen Ort betrat, wurde ich in Schockstarre versetzt und überwältig von vielen Gefühlen gleichzeitig; am richtigen Ort, zur richtigen Zeit zu sein und diesen Ort nicht verlassen zu wollen. Damals habe ich „nur“ die Ausstellung besuchen können und an den Flippergeräte Emotionen hochkommen lassen und meinen Ehrgeiz zu gewinnen, Raum geben.
Das Museum war praktisch leer; im Hintergrund lief Stones Musik und während ich auf den Fluren entlang die Exponate aufsaugte und zum Schluss die berühmte Toilettendekoration aufsuchte, war die Welt wieder in Ordnung.
Es war ein sonniger Samstag, der Ort war leer, was die Eindrücke verstärkte, die ich in aller Ruhe aufsaugen konnte, bis eine Gruppe zur Geburtstagsfeier eintraf. Ich nahm mir fest vor zurückzukommen, aber mit der Möglichkeit ein Livekonzert zu erleben. Ende März war es dann so weit und das Beste: in Doppelpackung.
Der Höhepunkt am Samstag (29.03.), bevor aus der Winter- die Sommerzeit wurde, war die Voodoo-Lounge-Band. Obwohl die Musiker*innen aus dem beschaulichen Braunschweig kommen, sollen sie europaweit eine große musikalische Nummer sein. Der Sänger ist Mick Jagger in jungen Jahren zum Verwechseln ähnlich. Jede Bewegung und Gesichtsverzerrung wurden so gut einstudiert, dass es natürlich rüberkommt. Das sorgte für Schmunzeln im Publikum, Stones-Like, nicht mehr die jüngsten, aber Achtung…Ein Generationen-Mix zeigte sich auch dort. Ein 8-jähriger Junge, angehender Schlagzeuger, schweifte nicht eine Sekunde von der Bühne. Später kamen seine Schwester und sein Kumpel noch dazu.
Ein Hoch auf die roten Zungen!
Das Rolling Stones Fan Museum ist Ort von maximaler kultureller Relevanz, die auch unterstützt werden kann, damit auch künftige Generationen die inzwischen 63 Jahre Bandgeschichte erleben können.
Es ist also eine Reise nach Lüchow wert, um der besten Rockband aller Zeiten ganz nah zu sein und das zu erleben, was diese Band verkörpert: Satisfaction Garanteed!