Kultur und Sightseeing: Hamburg wieder in vollen Zügen genießen

Der Begriff Vielfalt hört sich gut an, auch dann, wenn er nur kosmetisch genutzt wird und inhaltlich ziemlich leer daher kommt. Nicht aber im diesjährigen Sommerprogramm der Stadt Hamburg. Durstig, hungrig und voller Sehnsucht warteten wir auf Begegnungen, Erlebnisse und auf den Tag, wieder Kultur zu atmen und die Stadt Hamburg hat geliefert.

Willkommen zu Hope'n'Air
Willkommen zu Hope’n’Air

„1.800 Veranstaltungen an 200 Veranstaltungsorten in vier Wochen, veranstaltet in 7 Bezirken und 55 Stadtteilen“, lautete die Pressemitteilung von Hamburg Tourismus Marketing GmbH vom 18.08. Auch die Zahl der Besucher*innen sprechen eine eindeutige Sprache, auch dann, wenn hier und dort die Band mit einem gewagten und außergewöhnlichen Namen „We don’t suck we blow“ musikalisch gar nicht überzeugte und ein zu steriles Konzert gab. Wenn die Location dazu am Fuß der Elbphilharmonie, liebevoll „Elphie“ genannt ist, dann kann der atemberaubende Blick über die nicht allzu tolle Band am Tage X „entschädigen“.

Allein die Tatsache, dass 5.700 Künstler*innen bei dem Vorhaben, welches sich über die ganze Stadt visuell bemerkbar machte, beteiligt waren, ist dies ein immens wichtiges Signal an die ganze Branche, vor dem Hintergrund, dass die vierte Welle und die kalten Monate im Anmarsch sind.

Die 185.000 Besucher*innen haben dieses Angebot zu schätzen gewusst, auch dann, wenn Petrus hier und dort den Hanseaten einen Strich durch die Rechnung machte. Die Wetterlage während des ganzens Programms war so entscheidend und maßgeblich dass sogar in der Pressemitteilung drauf hingewiesen wird: „Ca 74 Liter Regen pro Quadratmeter und es gab 168 Stunden Sonnenschein. Typisch hamburgisch erreichten die Temperaturen Höchstwerte von 28,6°C (am 25.07) und Tiefstwerte von 10,6°C (am 20.07)„.  Aber die Hanseaten sind hart im Nehmen. Selbst wenn beim Radfahren der Regen stärker wird, denkt keiner von der Gruppe daran, eine Pause zu machen oder sich unter zu stellen. Der Fahrradausflug oder die Tour wird nicht unterbrochen. Weiter geht es. Unbeirrt und konzentriert. Auch ich habe mehrfach, während meines Aufenthaltes, bei denen das Wetter Kapriolen spielte, lernen müssen, die Dynamik der Fahrt nicht, durch Peanuts zu stören.

Blick zur Elphi
Blick zur Elphi (©Daniel Dittus)

Oft nach einem langen Tag Regen, tauchte am spätem Nachmittag ein atemberaubender schöner blauer Himmel auf, als wolle Petrus den Lädierten der Stadt, ein Geschenk machen, pünktlich zum Feierabend, so auch am 30.07. Aber als die Sonne herauskam, war das Konzert mit dem Motto „Hope ’n Air“ bereits abgesagt. Besonders schmerzhaft deshalb, weil es mein erstes nach der Pandemie gewesen wäre und trotzdem wurde der Abend ein bemerkenswertes Erlebnis unter freien Himmel und mit dem, was in Berlin sehr fehlt, ein Horizont, eine Skyline, die diesen Namen verdient.

Hafenstimmung am Abend
Hafenstimmung am Abend

Gerade, weil Hamburg fast an jeder Ecke, landschaftlich, eine Augenweide ist, fällt es schwer (in pandemischen Zeiten allemal) sich für einen Museumsbesuch oder  allgemein in geschlossenen Räumen zu entscheiden, wenn Mensch bedenkt, wie viele Vorschriften damit verbunden sind. Und trotzdem. Es lohnt sich.

Meine Tipps

1. Hauptkirche St. Michaelis/Die Krypta

Eine evangelische Hauptkirche, eröffnet im Jahr 1912, gilt als die bedeutendste Barockkirche Norddeutschlands, die im Laufe der Zeitgeschichte viele Rückschläge erleiden musste und doch aus der Skyline Hamburgs nicht wegzudenken ist. Von den Einheimischen wird sie einfach „Der Michel“ genannt.

Als vor einigen Jahren der Winter besonders hart war und die Glocken eingefroren gewesen sind und nicht geläutet haben, weil Hamburg mehrere Tage unter Schnee lag, fehlte etwas entscheidendens vom Barometer der Stadt. Als dann wieder zur vollen Stunde die Glocken in ihren unverwechselbaren Klang zur Stadt „gesprochen“ haben, hörte ich von einem waschechten Hanseaten: „Wir wussten, nach so vielen langen dunklen Tagen Ungewissheit, es wird weiter gehen und Hamburg steht“.

Wer das Glück hat, wie meine Wenigkeit, den Turm der weltberühmten Kirche zum Greifen nah am Fenster zu haben und jeden Morgen ihn „Moin Moin!“ sagen zu können, sollte sich überglücklich schätzen. Kaum ein Ort wie der Michel erzählt mehr Geschichte über die Stadt mit ihrer kantigen Skyline und ihrer leichten Überheblichkeit, die ihr so gut steht.

Viele Kirchen in Europa haben etwas gemeinsam: Zu selten sind sie die Orte der Stille, des Bedachtseins und werden permanent von Touristengruppen im Minutentakt unsicher gemacht. Fotos knipsen und schnell wieder draußen sein, zum nächsten Programmpunkt wechseln. Wer, wie die Autorin dieses Textes es als Genuss-de-Luxe empfindet, minutenlang auf die Orgel der St. Michaelis Kirche zu schauen, sollte gleich um 10 Uhr vor der Tür stehen oder kurz vor der Schließung am späten Nachmittag kommen.

Der Altar, die Wände mit den Rettungsringen (eine Aktion zum Erhalt der Hauptkirche, die von Prominent*innen unterstützt wird), die Goldstreifen an der Wand, die Fenster im Häuschen seitlich des Altars, das massive Holz der Bänke und vieles anderes mehr bieten aufmerksamen Augen, eine Zeitreise durch eine bemerkenswerte Geschichte. Auch der Turm, erreichbar mit dem Fahrstuhl, soll den Besuch vervollständigen.

Dort erwartet die Besucher*innen ein atemberaubender Blick über die ganze Stadt. Sogar im Livestream.

Der Zufall wollte es so, dass ich den Turm besteige, bei einer Windstärke, die sogar für die Hansestadt Rekord sein müsste. Selten war es möglich, das Handy aus der Tasche heraus zu holen und ein Foto über die schönste Sicht der Stadt zu machen, die die Bezeichnung „Das Tor zur Welt“ für sich pachten konnte und es immer noch souverän verteidigt. Von dort ist das Stadion vom Zweitligisten und Kultverein FC St. Pauli, die zwei schiefen Türme, die am Anfang der Reeperbahn aus dem Stadtbild buchstäblich hervorstehen, zu sehen.

Auch das Gebäude der Elbphilharmonie glänzt in den verschiedenen Nuancen in Silber, je nachdem wie das Licht auf das architektonische Meisterwerk fällt. Das Gebäude der Messehalle, aber auch andere Kirchen sind von dort oben zu sehen. Zwei Mexikanerinnen, die am selben windigen Samstag vor Ort waren, kamen nicht mehr aus dem Staunen heraus. An diesem Tag hatten Frisuren keine Chance und alles was nicht am Körper dingfest gemacht wurde, flog weg. In einem verrückten Spiel zwischen vielen dunklen Wolken in Abwechslung mit strahlender Sonne samt dem Zuhören wie Meyer und Müller oder eben Gonzales zum Tourguide mutierten, die einzelne Sehenswürdigkeiten gierig suchten und die Freude beim Entdecken hinausposaunten. Auch der weltberühmte Kiez, als St. Pauli und Reeperbahn bekannt, sind von dort oben gut zu sehen. Für Architekturfreunde gibt es neben dem Fahrstuhl einen Bebauungsplan, mit den Zutaten aus den Träumen von Detailfetischisten.

Wer die Ausstellung in der Krypta im Untergeschoss besucht, wird u.a. die Auswirkungen des verheerenden Brandes vom 03.07.1906, erfahren. Kaum zu glauben, dass der Brand die Kirche in Schutt und Asche verwandelte und das Leben des Türmers Carl Beurle kostete.

Wer nach dem Besuch und (zu Coronazeiten bestehenden Bestimmungen) der Rückkehr zum Erdgeschoss durchs Treppenhaus Hunger bekommt, kann gleich direkt auf der anderen Strassenseite ein bisschen Kiezathmosphäre, sogar im Strandkorb geniessßen. Zwei kleine Läden, einer, eine Kombination aus Cafe und Souvenirladen „Café am Michel“ und der andere, gleich neben an „Gibbon“, bietet frischzubereiteten Sandwichs zu sehr guten Preisen. Inbegriffen, bei den beiden, ist ein sehr guter Service.

2. Museum für Kunst und Gewerbe

Die Umgebung eines Bahnhofes ist in jeder Großstadt ähnlich. Die Verlorenen, die Süchtigen und denen die, nichts mehr haben, treiben sich dort herum. Das ist nicht anders, als in Berlin, in Rio, in Paris oder in Rom.

Das Gebäude steht direkt vorm Hamburger Bahnhof und der Eingangsbereich ist im Jahr 2010 errichtet mit Hilfe der HERMANN REEMTSMA STIFTUNG* und der Zufall wollte es, dass gerade in der Zeit, in der ich dort war, eine dreitägige Ausstellung in diesem Museum, wie ein Magnet fungierte.

Auf der Homepage der Stiftung ist zu lesen, dass der Support für das Museum umfangreich und kontinierlich ist: „Die HERMANN REEMTSMA STIFTUNG förderte im Rahmen von KUNST AUF LAGER beispielsweise das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg bei der kompletten Neuorganisation ihrer bedeutenden Sammlung der Fotografie und Medien. Gemeinsam mit Partnern gelang es, dass die Bestände inventarisiert, digitalisiert, erforscht, online gestellt, restauriert, in einem neuen zentralen Depot optimal gelagert und Interessierten in einem Studiensaal vorgelegt werden„.

Es ging exakt um die Renovierung des Bahnhofs. Besucher*innen hatten die Möglichkeit sich die Entwürfe der Architekturbüros aus dem In- und Ausland anzuschauen und anhand dort vorliegender Postkarten, die Lieblingsentwürfe zu votieren, in einer Art unkonventioneller Wahl. Das hatte den Sinn, die Bürger*innen an dem Prozess teilnehmen zu lassen.

Der Ansturm war riesig. Am Tresen, gleich am Eingang eine etwas gestresste Dame die mit slavischen Akzent versuchte immer wieder einen bestimmten Herrn davon zu überzeugen, dass es nötig war, sich einzutragen. Er dachte, dieser Stolperstein sei leicht umgehbar, wenn die Bestätigung über den vollen Impfschutz vorliege. Als die Lage zwischen den beiden in Sache Kommunikation immer unübersichtlicher wurde und die Fronten härter, erklärte ich dem hartnäckigen Besucher, dass es um die Kontaktverfolgung gehe und nicht um den Impfnachweis.

In dem dafür vorgesehenen Raum waren wenig Leute zugelassen. Es dauerte alles ziemlich lange, bis wir hinein konnten. 30 interessante, gewagte bis futuristische Entwürfe waren dort zu beäugen und zu bewerten, aber auch ein wenig die Gedanken schweifen zu lassen, wie Hamburg in 20 Jahren aussehen und es ins Stadtbild passen wird. Der Hauptbahnhof in der jetzigen Fassung, überlastet, ist eine Zumutung und ein Beispiel an Unübersichtlichkeit.

Inzwischen mit Stand vom 05.08. wie die Zeitung Die Welt berichtete, sind die ersten besten 10 Entwürfe ausgewählt worden.

Das Museum für Kunst und Gewerbe hat aber andere Angebote, darunter viele Dauerausstellungen zum Beispiel zu Musikinstrumenten die zur Dauersammlung gehören oder temporäre wie zur Zeit „Zur Sprache der Mode„, die am 14.08. die Eröffnung feierte.

Neben unzähligen vielen Ausstellungen, die viel Zeit in Anspruch nehmen, ist das Eingangsfoyer die perfekte Einladung dazu. Die Türen, versehen mit schweren Glas, die schöne kleine Treppe und der Lampenleuchter sind die Eingangsmerkmale zur einer Reise voller Entdeckungen mit Themenschwerpunkten, die an Vielseitigkeit glänzen. Das beim Hinausgehen der Duschbus für Obdachlose und ein Zelt mit Angebot von gratis Corona-Tests vor Ort waren, ist ein Bild, welches sich von keiner anderen Großstadt unterscheidet.

Selbst wenn der neue Bahnhof im neuen Glanz erscheinen wird, werden die sozialen Probleme bleiben. Das sehen wir am Beispiel des Berliner Hauptbahnhofes. Eine Ausrede, das Museum für Kunst und Gewerbe nicht zu besuchen, gilt nicht. Dieser Ort strahlt vor Kreativität und Vielseitigkeit. Am besten ist es, gleich nach dem Ausstieg aus dem Zug, sich auf eine Reise der anderen Art, nämlich durch die Epochen und die verschiedenen Themen, sowie Stile zu begeben.

Link: Museum für Kunst und Gewerbe

Link: Stadt Hamburg

About Fatima Lacerda

Kultur, Fußball, Musik sind meine Leidenschaften. Reiseberichte sind ein Genuss!

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