Auf den ersten Blick scheint mir der Name ziemlich seltsam für eine Eisdiele. Denn dahinter steckt eine nicht unerhebliche Mentalitäsfrage, eine gehörige Portion deutsche Erziehungskultur vergangener Zeiten. Ich, die in einem ziemlich anderen Kulturkreis aufgewachsen bin, bei der ein Eis zu bekommen mit keiner Bediengung verknüpft wurde, war irritiert. Zunächst. Aber wie ich später erfuhr, sollte dies mit einem Augenzwinkern aufgenommen werden und gar nicht mal so wortwörtlich.
Wobei ich mir auch sagen ließ, dass manche Kunden, beim Eintreffen, am Tresen sagen: „Ich war brav und habe ein Eis verdient“. Der Banner, der am Rande des Gleisdreieckparks auf die Eisdiele hinweist, erinnert eher an den jungen Bubi auf der Packung des Zwiebackherstellers, Brandt. Ich wurde immer neugieriger um zu wissen, was das auf sich hat.
Es ist ein heißer Samstagnachmittag. Der Gleisdreieckpark platzt aus allen Nähten. Beim Vorbeigehen an den Wasserspender, der direkt vorm Sportplatz steht – bestätigt erneut meinen Eindruck, dass dort fleißig Bakterien und allerlei Krankheitserreger verteilt werden, wenn man feststellt, wie abenteuerlich dass mit dem Wasserspender gehandhabt wird. Es werden Hände gewaschen, Luftballons mit Wasser gefüllt, Wasserspiele allerlei. Igitt! Nun ja. Aber der Gleisdreieck ist der angesagte Park für den Sommer, für den Herbst und ja, selbst im Winter lassen sich dort einsame Spaziergänge machen. Der Kreuzberg um die Bergmannstraße war gestern! Was an einer solch phänomenal liegenden Anlage nicht fehlen darf? Tischtennisplatten, grüne Wiesen mit einem breiten Blick über die Berliner Skyline und ja, eine Eisdiele. Und die gibt es!
Zweites Standbein und Erfüllung vom Kindheitstraum
Das Paar Timm Gossing und Patricia Szilagyi – Er ist Lehrer für Deutsch als Fremdsprache und sie als freie Journalistin für die Deutsche Welle tätig – haben ein zweites Standbein geschaffen. Ob es sich bei der Eisdiele um die Erfüllung eines Lebenstraums gehe, will ich wissen. Darüber hinaus lässt es mir keine Ruhe, ob der gewöhnungsbedürftige Name etwas „biographisches“ hat. „Ja,“ verrät Patricia. „Früher zur Eisdiele zu gehen war was ganz besonderes“ erzählt sie mit nostalgischer Stimme und glänzenden Augen. Für Timm klingt es nach einem zweiten Standbein plus einem Nebeneffekt der Abwechslung zum Hauptberuf.
„Das ist total toll wenn man ein unmittelbares Feedback bekommt. Kinder freuen sich. Leute sagen wie es ihnen schmeckt. Manche machen auch Vorschläge. Das ist eine schöne Erfahrung„. erklärt Patricia. „Es ist eine einfache Freude„, ergänzt Timm in einem bunten T-Shirt, welches Urlaubsstimmung suggeriert. Ob der große und bekannte italienische Eisladen im Potsdamer Platz Arkaden für sie eine Konkurrenz darstellt, frage ich. Patricia ist fest davon überzeugt, dass der große italienische Laden keine Konkurrenz darstelle, vor allem aber seien die Stammkunden, Anwohner vom Kiez oder aber Beschäftigte der naheliegenden Büros die, so Timm’s Beobachtungen „nach der Mittagespause sich einen süßen Nachtisch abholen“.
Ob das Eis direkt im Laden produziert werde, will ich auch wissen. Timm erklärt, dass seit Eröffnung, April 2015, das Eis noch vom Partner, nämlich eine etablierte Manufaktur aus Prenzlauer Berg geliefert werde. Es wird beabsichtigt einen größeren Raum in der Nähe zu mieten um das Eis selbst vorzubereiten. Es ist auch der Wunsch das jetzige Angebot zu optimieren, zu verfeinern „in Richtung Patisserie“, wie Timm ergänzt. Bei der Vorstellung musste ich sofort an die Pariser Patisserien im 18 Arrondissements denken und da lief das Wasser in den Mund zusammen.
Wer kommt hier vorbei?
Gibt es eine Zielgruppe (?), will ich wissen. Die Gäste von den Hotels um den Park, viele Touristen zusätzlich zu den Stammbesuchern vom Kiez, welcher Patricia und Timm noch dabei sind sich zu erkundigen, da sie vor kurzem in die Umgebung hinzugezogen sind. Timm weist richtigerweise darauf hin: „Wir sind hier im Tiergarten“. Berlin und ihre Bezirksgrenzen! Die Stadt, die aus mehreren Dörfern entstanden ist. Die post-globalisierte Gegenwart hat daran nichts, aber auch gar nichts geändert und das, ist gut so.
Das Produkt
Das Eis hat einen salzigeren Preis als die meistens Dielen, die ich kenne. Eine extra Portion Sahne kostet 0,60 Cent. Es gibt phantasievollen Kreationen wie zum Beispiel Rocket zu Mars oder Alter Schwede, dieser bestehend aus 3 Kugeln Eis, Apfelmus, Eierlikör und Sahne für die Fans mit gastronomischer Abenteuerlust spezielle auf skandinavisch. Das absolute Highlights für Gummibärchensüchtige ist die Variante mit dem suggestiven Namen „Gummibärchenbande“. An jenem Samstag stechen ganze 9 Eissorten aus der Vitrine hervor.
Die Sorten
Alle Eissorten mit grünen Schildchen in der Vitrine sind laktosefrei und vegan (auch glutenfrei). Ausnahme: Die Sorte Cookies & Cream sind nicht glutenfrei wegen der Kekse, was ich – im Nachhinein nicht verstanden habe – da es auch Kekse ohne Gluten gibt. Nur gut. Für die treuen Tomaten unter Euch ist die Sorte „Belgische Schokolade“, ein Geschmack mit einem edlen Charakter, ein alter Bekannter: Gar nicht zu süß und eher in Richtung herb. Köstlich!
Die Sorte „Kokosananas“, leider fehlend am Tag meines Besuches wird – aufgepasst – mit Kokosmilch vorbereitet und ist auch eine Topoption für Allergiker gegen Laktose. „Wir wollen, dass wo Frucht steht, auch Frucht drin ist„, sicherte Patricia. Also hier wird auf die Qualität der Zutaten detektivisch wie preußisch unter die Lupe genommen.
Sandornfans werden hier auf ihre Kosten kommen. Für die, die gastronomische Reisen wagen, gibt es – aber bitte nur im Sommer – Kalamansi, eine bittere Frucht (Die Calamondinorange ist eine vermutlich ursprünglich in China natürlich entstandene Hybride aus der Mandarine Citrus*).
Meine Empfehlung: Mandel mit Kardamom (Der Grüne Kardamom (Elettaria cardamomum) ist eine Pflanzenart aus der Familie der Ingwergewächse*). Die Konsistenz ist elastisch, erinnert an die Torrones aus Italien. Kombiniert mit belgischer Schokolade ist es ein Fest und (für meinen Begriff) ein absolutes Novum für die Gaumen.
Wer Eisdiele in Kreuzberg kennt, weißt genau um das Prozedere nach dem Eiskauf: Man sitzt mitten auf dem Bürgersteig umrundet von Fußgängern und wilden Radfahrern und jede Menge Krach allerlei oder aber man hockt aufeinander quasi auf dem Schoß und kommt nicht darum, die Gespräche von nebenan im Wortlaut zu hören. Nicht bei „Wenn Du brav bist“.
Eine Oase am Rande des Parks. Eine ausgiebige Fläche mit vielen Sitzmöglichkeiten einschließlich Holzstühle – wie in einer Strandbar in ruhiger Umgebung lädt zum genießen und entspannen. Mitten in Berlin.
Eisdiele am Gleisdreieck / Flottwellstraße 14, 10785 Berlin
Die Öffnungszeiten sind Mo – Fr: 12 bis 20 Uhr und Sa – So: 13 bis 20 Uhr
facebook.com/wenndubravbist
*Wikipedia
Bildergalerie:
Das ganze gerede über Eis und die bildhaften Umschreibungen geben mir Lust mich sofort zum Tichy-Eissalon in Wien aufzumachen. Wenn ihr jemals in Wien seit umbedingt zum Tichy gehen, dort findet ihr das beste Eis Wiens. Aber genug der nostalgischen Erinnerungen, „Wenn du brav bist“ hört sich auch sehr lecker an. Wenn ich mal wieder in Deutschland bin weiß ich ja wo ich sie finde 😉
Ich mußte an die Patisseries in Paris denken, Du an Wien. Willkommen im gastronimischen Paradies Europa!
Eine gute Idee finde ich. Leider gibt es sowas in München nicht. Aber habt ihr schon mal vom „verrückten Eismacher“ bei uns gehört? Dort gibt es z.B. Radler (also Alsterwasser)- und Fleischwursteis – beides verblüffend echt im Aroma, aber dadurch natürlich auch sehr gewöhnungsbedürftig. Wer aber ein wenig experimentierfreudig ist, findet hier vielleicht seine Lieblingseisdiele. Hier bekommt man übrigens wenn man ein Eis kauft immer noch ein wenig einer anderen Sorte zum Probieren dazu. Also wer mal nach München kommt, sollte sich das unbedingt ankucken. ich persönlich bleibe ja lieber bei den normalen Sorten… 😉
Haha! Da läuft einem ja sofort das Wasser im Mund zusammen. Absolut gute Laune, die der Artikel verströmt.