Buchbesprechung: "Berliner Villenleben"

Wenn ich Touristen durch die Stadt führe, gibt es immer wieder Erstaunen über die Weitläufigkeit und Begrünung der Stadt. Die einstige Industriestadt hat immer noch das Image des „Steinernen Berlins“ von Hegemann, die Beschreibung der einstmals größten Ansammlung von Mietskasernen. Das Buch Berliner Villenleben*) listet nun detailreich die Entwicklung des anderen Berlins, nämlich der grünen Villenviertel auf.

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Die Schere zwischen arm und reich ist keine Entwicklung dieses Jahrtausends, sie war mit Sicherheit mit Beginn der Industrialisierung mindestens genau so dramatisch, wenn man die Wohnverhältnisse zwischen Zilles Milljöh und denen der Borsigs, Siemens, Rathenaus u.a.m. vergleicht. Und es gab auch schon immer – gerade bei großen Siedlungsprojekten – das, was man heute als Seilschaft bezeichnet: Insiderclubs, in denen Geschäftsbeziehungen angeknüpft und gepflegt wurden (CvB / KFMV / KAC / KAeC / KWG usw.)

Das alles wird im o.a. Buch zwar genau beschrieben – inkl. der jeweiligen politischen Ausrichtung – aber mir fehlt insgesamt der kritische Ansatz zu dieser Art von „Projektmanagement“, im zeitlich großen Abstand wird doch leider immer wieder ein Weichzeichner zwischengeschaltet – vielleicht auch weil die alten Häuser mit ihren gepflegten Gärten so nett aussehen und eine Wohltat fürs Auge sind.

Natürlich geht ein Großinvestor auch ein Risiko ein, und es gab auch in der Gründerzeit eine Menge Pleiten, aber wenn ein Investor wie Carsten (Gründer von Groß-Lichterfelde) innerhalb von 6 Jahren eine 360%ige Wertsteigerung seiner Grundstücke erfährt (ausgelöst durch die Reichsgründung) frage ich mich, warum der Staat nicht selbst solche Projekte betreibt. Aber auch heute ist das Privatisieren und Outsourcen allgemein angesagt, wir erleben es ja fast täglich.

Möglicherweise hat einer der 17 Autoren auch nicht nur die Historie aufgezeichnet – es werden Grunewald, Frohnau, Nikolassee, Lichterfelde, Westend und das Thiergartenviertel besprochen – aber in einem anderen Buch „Der Bürgertraum vom Adelsschloss“ von Richter/Zänker wird eben auch Stellung bezogen. Der sog. „Geldadel“ war ja eben erst durch Erfindungen und Industrialisierung zu Geld gekommen, und der Geruch der „Neureichen“ hat sicherlich nicht wenige geärgert. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass nicht nur im Gebaren, sondern auch in der Wohnform der alte Adel gerne kopiert wurde, wenn auch in verkleinerter Form. In diesen Villen musste natürlich immer ein repräsentatives Entree (möglichst mit Freitreppe), ein Turmzimmer, ein Dachreiter (wozu auch immer) und manchmal sogar (wie bei Lilienthal in Lichterfelde) eine Zugbrücke diesem Anspruch herhalten.

Natürlich ist ein solches Buch wichtig für die Analyse der Stadtentwicklung, aber dieses setzt spezielle Kenntnisse voraus, alldieweil das Kartenmaterial hier sehr spärlich ist. Und wer sich nur der Optik wegen für diese alten Villen interessiert, ist im Fotoband Villen und Landhäuser in Berlin**) (Nicolai) besser bedient. Das Buch „Berliner Villenleben“ ist in jedem guten Buchhandel erhältlich oder direkt beim Verlag.

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Villa in Babelsberg

Einen Aspekt zur Entwicklung der Villenviertel in Berlin muss ich aber noch loswerden: Der Westen einer Großstadt war schon immer mehr den vornehmen Vierteln vorbehalten, das gilt auch für andere Metropolen. Warum? Weil bei uns der Wind überwiegend (zu 80 %) aus dem Westen kommt, die westlichen Vororte hatten also immer die bessere Luft. Da mag es regional kleine Unterschiede geben – Frohnau lag ja im Norden – aber der Nimbus des „Westens“ gab schon 1908 dem KaDeWe seinen Namen (und nicht erst die Teilstadt West:Berlin!).

Am schlechten Ruf des Ostens hatte die DDR ewig zu knabbern und erst mit der Einführung der Erdgasheizung beginnen die Ostberliner Bezirke auch langsam den Geruch des Ostens (Braunkohle usw.) los zu werden. Nunmehr soll sogar schon Köpenick (=Osten) dem alten Villenbezirk Zehlendorf (=alter Westen) den Rang ablaufen. Sagt zumindest der Immobilienmakler meines Vertrauens ………

*) ISBN 978-3-7861-2589-1

**) ISBN 3-87584-255-3

 

 

About Wolfkamp

Uralter Urberliner. Taxifahrer, Eisenbieger, Schneeschipper, Student, Wagenwäscher, Bananenverkäufer, Bauleiter, Ausbilder, Dozent, Hilfsarbeiter, Operator, Systemanalytiker, Autor, Stadtführer, SES-Experte, Seniorenfahrer, Berliner Schnauze, usw. usw. Ich glaub´, ich habe nichts vergessen . . . . . .

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