Der Stadt wird oft nachgesagt, die schönste auf der Welt zu sein. Das stimmt auch. Aber Rio ist mehr als das: anstrengend, widersprüchlich, schräg und in manchen Gegenden auch sehr gefährlich. „Venedig sehen und sterben“. Das könnte man auch über Rio sagen, aber Leben, sprich ausleben ist doch viel besser und das kann man in Rio auf unterschiedliche Weise tun.
Hier einige Reisetipps, resultierend aus den Highlights meines Aufenthaltes dort am Ende 2022.
Für Filmliebhaber*innen
Die Kinemathek unter dem Dach des Museums für Moderne Kunst (MAM) liegt mitten im Stadtzentrum und doch in einer wunderschönen Grünanlage. Eingeweiht im Jahr 1958, aber mehrfach umgezogen hat sie den Auftrag, die Juwelen der brasilianischen Kinematografie zu bewahren, zu pflegen und zu restaurieren, sie für die Nachwelt erhalten, aber auch für die Forschung zur Verfügung zu stellen. Die Film Library in New York galt als Inspiration für das Gebäude.
Im Laufe der Zeit hat sich hier ein beachtlicher Fundus gebildet bestehend auch aus Fotos und Filmplakaten. Vom Beginn an war den Macher*innen die internationale Verbindung wichtig. Das ging am besten unter dem Dach vom FIAF (International Federation of Film Archives). Da kommt man wiederum an Berlin und dessen Kinemathek nicht vorbei. Mehrere brasilianische Filmjuwelen wurden bereits an Berlin zur Vorführung ausgeliehen. Der Kontakt sei sehr intensiv, sagt der Chef-Koordinator, José Quental in einem Exklusiv-Interview.
Ein absolutes Muss ist ein Spaziergang durch den umgebenden Park (Eingeweiht 1965). Der ist allseits beliebt, insbesondere sonntags aber auch der atemberaubende Blick auf die Bucht und auf den Zuckerhut lassen die Seele baumeln und waschechtes Rio-Feeling aufkommen.
Obwohl die Institution privat bewirtschaftet wird, versteht sie sich als Brückenbauer und schreibt Inklusion ganz groß. Die Vorführungen sind alle kostenfrei und manchmal gibt es ein Q & A mit dem Regisseur des Films.
Link: Cinemateca do MAM
Musik
Fundição Progresso
Eine Allzweckhalle ganz im Sinn der Kultur ist der wichtigste unabhängige Kulturspot mit dem besten was Show Business zu bieten hat und liegt mitten in der Altstadt von Rio. Hier kann man nicht nur Musikkonzert von den ganzen Großen erleben, sondern auch eine einmalige Stimmung, die changiert zwischen Begeisterung, Ekstase und Staunen. Auch Tanz- und Rhythmus Kurse werden hier angeboten. Für die Mütter, die auf das Tanzen nicht verzichten wollen, gibt es Babysitter.
Der soziale Charakter kommt auch nicht zu kurz. Seit 2016 gibt es ein Event, wo kleine und unabhängige Händler ihre Produkte anbieten können. Diese Plattform möchte das vegane Essen auch für den kleinen Geldbeutel zugänglich machen.
„Fundição Progresso“ genießt aber auch einen außergewöhnlichen Ruhm, der direkt mit der chronischen Unpünktlichkeit der Rio Bewohner*nnen zusammenhängt. Die Anfangszeit der Konzerte sind sehr unterschiedlich, je nach Lust der Künstler*innen oder den Wünschen der jeweiligen Produktionsfirmen. Die Zuspitzung dieser, ich nehme sie Betriebskultur durfte erleben beim Konzert/Performance der Sängerin Ludmilla. Ihr Konzert an einem Samstag sollte erst um 3 Uhr morgens beginnen. Ich musste bei der Presseabteilung anrufen und mir das mehrfach bestätigen lassen. Selbst für Rio-Verhältnisse war die Uhrzeit sehr außergewöhnlich und brachte viel Unmut mit sich. Aber selbst die spätere (oder frühere) Uhrzeit garantierte nicht die Pünktlichkeit bei dem Begehrten Konzert. Erst um 03:45 Uhr trat Ludmilla auf die Bühne. Bis es endlich soweit war, hatten mehrere zornige Besucher*innen bereits den Heimweg angetreten.
https://fundicaoprogresso.com.br/Programacao
Circo Voador (zu Deutsch „Der Fliegende ZirKus)
Dieses Zelt erinnert sehr an das Berliner Tempodrom der wilden Zeiten, bevor Berlin Hauptstadt wurde (1999). Auch im fernen Rio de Janeiro begann es aus dem Widerstand heraus 1982 während der Militär-Diktatur (1964-1985), um unabhängige Künstler*innen einem großem Publikum zu ermöglichen. Das Zelt, welches zunächst in einem anderen Bezirk stand bevor es zum alten Stadtzentrum kam, wurde bekannt durch das Sonntagnachmittags Orchester, ein Art Protest gegen die Sitten des damals sehr sehr konservativen Landes. Ausgefallen tanzen und das auch noch in der Altstadt, damals bekannt als Ort der Banditen und Gauner, war zu dem Zeitpunkt eine Provokation gegen die „guten Sitten“.
Bis das Zelt sich in der historischen Altstadt im Bohème-Viertel Lapa längerfristig niederlassen und on the long run zu einer Institution werden konnte, mussten die Macher*innen viele Rückschläge verkraften. Viel Engagement von Protagonisten der Kulturszene war notwendig, um den „Circo Voador“ in der Kulturszene zu etablieren. Heute ist die Einrichtung aus der Kulturkarte nicht mehr wegzudenken. Damals unbekannte Künstler*nnen gelangen erst nach einem Auftritt dort zum landesweiten Ruhm.
Heute wird auch dort die Wiederbelebung des Kultursektors ausgekostet, nachdem die vorherige Regierung den Sektor stranguliert und alle Projektmittel zu dessen Förderung gestrichen hatte. Im Gegensatz zum direkt benachbarten Fundição Progresso sind hier die Konzertzeiten echt human. Spätestens gegen 23 Uhr geht es los. Vom Ambiente her ist man hier den Künslter*innen richtig nah. Das schafft eine ganz besondere Atmosphäre.
Link: circovoador.com.br
Geschichte & Kultur
Königliches Lesekabinett
Kaum vorstellbar, dass im Getümmel des Zentrums von Rio ein Ort zur Lektüre, zur Literaturforschung und zum Bestaunen historischer Bücher einlädt. Etwas versteckt liegt das königliches Lesekabinett, entworfen vom portugiesischen Architekten Rafael da Silva e Castro, in einer Straße die den Namen des ebenfalls Dichters Luiz Vaz de Camões (1525- 1580) trägt.
Die Geschichte des Kabinetts führt zurück in die Zeit als Brasilien Kolonie von Portugal war. Die Einrichtung wurde 1837 von einer Gruppe von 43 portugiesischen Einwanderern, politischen Flüchtlingen, gegründet, um die Kultur der portugiesischen Gemeinschaft in der damaligen Hauptstadt des brasilianischen Reiches zu fördern. Es war der erste Verein dieser Gemeinde in der Stadt. (Quelle: Wikibrief) Nur 15 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung von Brasilien von Portugal wurde das Lesekabinett gegründet.
Außerhalb von Portugal selbst sind im Lebekabinett die meisten portugiesischen Bücher unter einem Dach vereint. Da hat den Hintergrund, dass 1935 die portugiesische Regierung beschloss von jedem Buch in der portugiesischen Nationalbibliothek in Lissabon registriert würde, ein Exemplar auch in das königliches Kabinett geschickt werden soll.
Später Weltruhm
Erst aus Anlass der WM 2014 (Bei der die Nationalelf unter Joachim Löw triumphierte) und der Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro erlangte das Kabinett Weltruhm. Das „Time“ Magazine kürte es als die 4. schönste Bibliothek der Welt. Fun Fact: Über mehrere Dekaden war der Inhaber der mächtigen Tabak-Firma „Souza Cruz“, der Direktor und sogar mit Veto-Recht. Versehen. Heute wäre aus Sicht des Marketing die Kombination Bücher und Zigaretten ein ziemliches Hindernis!
Für inberlin exklusiv, wie es sich gehört , bekam ich eine ganze Stunde Rundgang vom Expert Orlando José Dias Inácio gewährt mit dem zusätzlichen Attraktivitätsmerkmal, die historischen Bücher (mit speziellen Handschuhen, natürlich) anfassen und allemal aus nächster Nähe bestaunen zu können. Auch Zugang zu Räumen für besondere gesellschaftliche Anlässe & Ehrungen und Einblick in die Werkstatt, wo die Bücher restauriert werden, gehörte zur Führung. Zusätzlich die Erklärungen über die Möbel und über die Vitrinen, die aus Europa kamen.
Wegen der Dauerhitze und extreme Luftfeuchtigkeit, die in Rio unabhängig von der Saison herrscht, wollte ich wissen, wie die Bücher für die folgenden Generationen aufbewahrt bzw. gesichert werden. Es gibt eine Lüftungsanlage für die gesamte Bibliothek aber die Bücher genießen auch zusätzlichen Schutz.
Wenn man der Balustrade oben nach unten schaut, wird der Besucher überwältigt von einem Meer aus Büchern, historisch und kulturell gesehen, von gewichtiger Relevanz. Hier könnte Ihr einen virtuellen Besuch ins Königliche Lesekabinett abstatten: Visite-o-RGPL
Konditorei „Colombo“: Exzellenz bis ins Detail
Ganz nach dem Still großer europäischer Kaffeehäuser ist die Konditorei Colombo. Das Getümmel im Stadtzentrum permanent und beginnt gleich in den ersten Morgenstunden. Punkt um 10 Uhr öffnet die Confeitaria Colombo ihre Pforten. Gruppen von Touristen aus aller Welt strömen in die wunderschönen Räume und kosteten von den Köstlichkeiten, die direkt in der Manufaktur nebenan liebevoll und kreativ (vom Geschmack brauchen wir nicht zu reden) vorbereitet werden.
Das am 17. September 1784 eröffnete Gebäude steht inzwischen unter Denkmalschutz. Berühmte Schriftsteller und Politiker gingen hier von je her ein und aus. Die sog. Hintergrundgespräche zwischen ihnen fanden auch hier statt. Königlicher Besuch gab es auch: 1920 war König Albert von Belgien und 1968 Königin Elizabeth II von England hier zu Gast.
Exklusiv für Inberlin konnte ich noch vor der Öffnung mit dem Patisserie-Chef, Thiago Faro sprechen. Ich konnte einen kurzen Augenblick exklusiv genießen, als die Räume noch ganz leer waren und die Vitrine mit den frischen Köstlichkeiten befüllt wurden, Stühle richtig gerückt wurden, bis ich einen strahlenden Mann bemerkte, der auf mich zukam nd mit einem breiten freundlichen Lächeln mir sofort den Eindruck vermittelte, es es wird ein gutes Gespräch.
Als Erstes will ich wissen, wie sich sein Tag gestaltet: „Der beginnt mit einem Kaffee und ein Brigadeiro“, erzählt er amüsiert. Ich wundere mich über die Wahl, denn Brigadeiro ist perfekt für die späten Nachmittagsstunden, zum Tea oder Käffchen aber gleich am Vormittag?! Nun ja, die Werkstatt/Manufaktur liegt ihm zu Füßen…
Weiter erzählt er über die portugiesische Einflüsse auch in der Art der Zubereitung. „Sie waren Ihrer Zeit voraus. Sie brachten ihre eigene Assistenten und Zuarbeiter mit und ließen die ganze Belegschaft am Profit teilhaben .(…) Das war eine Form der Motivation, um die Fachkräfte zu behalten. (…) Sie haben auch langen Urlaub bekommen, um ihre Familien in Portugal zu besuchen.
Ich frage über das portugiesische „Pastel de Belém“ (in Berlin kennt man das Gebäck eher als „Nata“). Er erzählt mir, dass sein Vorgänger Inhaber des (stets gut gehüteten) Rezeptes für die „Nata“ war.
Wie sieht deine Version von „Nata“ aus?
Ich habe das Basisrezept mit ihr einer zitrischen Note versehen, ein vollkommen anderer Aspekt als das Original. Das lässt sich gut mit einer Prise Zimt ergänzen.
Hier kommen täglich so viel Massen von Menschen rein, dass man zu den Öffnungszeiten man sein eigenes Wort nicht versteht Wie schaffst Du es, dass keine Engpässe entstehen?
In schaffe es insgesamt 250 bequeme Sitzplätze zur Verfügung zu stellen. (…) Die Belegschaft arbeitet in überlappenden Schichten : Ein Teil kommt um 5 Uhr, ein anderer Teil um 6, um 7 und um 8 Uhr. Fürs Mittagessen gerne genommen vor allem, von Reise- oder Schulgruppen gibt es nur eine Auswahl von 6 Gerichten.
Anschließend, nachdem ich Köstlichkeiten zu probieren bekam, wurde mir Marcelo Teixeira vorgestellt. Der Chef-Keller kennt wie kaum ein anderer die Geschichte dieses Ortes. Er sagt mir, dass der damalige Besitzer, einen sehr böse aussehenden Hund, so demonstrativ durch den Saal laufen ließ, um zahlungsunwillige Kunden einzuschüchtern.
Als ich das Interview mit Marcelo in der oberen Etage beginne, füllt sich der Laden schlagartig. Eine riesengroße Schülergruppe von auswärts nimmt fast den ganzen Bereich. Gleich wird Mittagessen serviert. Der Blick vom Balkon in der oberen Etage beschert Besucher*innen eine Melànge zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Ein Mittagessen wäre zu schade, Anbetracht dessen, welche Köstlichkeiten aus der Konditorei-Manufaktur kommen. Es empfiehlt sich also zum Frühstück oder zum Kaffee am Nachmittag ins geschichtsträchtiger Kaffeehaus zu kommen.
Selbstverständlich gibt es die Köstlichkeiten auch zum Mitnehmen und zum Verschenken. Die altmodischen Dosen für die Kekse erinnern sehr an die europäischen Kaffeehäuser früher in Hamburg und Wien.
Bei diesem Text habe ich für euch das Stadtzentrum unter die Luppe genommen. Bei dem nächsten Text geht es um die „Klassiker“ in Sachen Sightseeing.
*Eine Schokokugel bestehend aus Kondensmilch, Butter und Kakao plus Streusel„.