Festival Zappanale 2022: Sehnsucht nach Normalität, ein bisschen Sommer und eine musikalische Achterbahn

Bevor sich der Sommer wettermäßig wie kalendarisch verabschiedet, muss der inzwischen traditionelle Text im Format „What we did last Summer?“ online gehen. Ja, die Autorin dieser Zeilen war wieder an der Ostsee. Nach 3 Jahren Trockenheit und gähnender Leere fühlte sich dieses Jahr wieder die Trabrennbahn mit Leben und Fans des Ausnahmekünstlers, Perfektionisten und politischen Aktivisten Frank Zappa. (1940-1993).

Das bis hin in den tiefsten Süden der Republik bekannte Festival „Zappanale“ fand wieder in Präsenz statt. Endlich!

Also nach 2019, dem unvergesslichen 30. Jubiläum, kam das Jahr 2020 mit der Phantasienummer 30,50 daher und fand fast komplett online statt. Damals sind einige eingefleischte Fans zur Festival-Location gepilgert, auch ohne Musik, wie eine Zappa-verrückte und unternehmungslustige Gruppe aus Magdeburg, angeführt vom Team Leader, Dietmar. 2021 und 2022 war die Gruppe auch wieder vor Ort anzutreffen.

Rückblick 2021: Die Ausgabe 30,45 war eine Kostprobe bestehend aus 3 Bands an einem Samstag im beschaulichen Klostergarten. Die Impfkampagne war damals noch nicht soweit und eine Mischung aus Impfung und Schnelltests ließen die Behörden im Team-Vorsicht im Bundesland in Mecklenburg-Vorpommern nicht zu.

Endstation Sehnsucht

Bei der aktuellen Ausgabe 2022 war die Messlatte hoch. Viel Hunger und Durst nach Zappa-Musik bestimmte das Gemüt der Fans. Einige nahmen Urlaub und campten auf dem Gelände und ließen es sich gut gehen – wie die Deutschen es am besten mögen: eine Mischung aus Action und Wohnzimmeratmosphäre in den „eigenen 4 Wänden“. Einige bleiben auch etwas länger über das Ende des Festivals hinaus. Am Montag Abend, also einen ganzen Tag nach dem Ende des Festivals, parkten immer noch einige hartnäckige Camper auf dem Gelände. Da die Organisation so locker ist, hatte sie zwei Securities extra engagiert, um dort nach dem Rechten zu sehen. Rausgeschmissen wurde nicht, auch wenn es Mehrausgaben für Extra-Personal bedeutete.

Die Ankündigung über das Stattfinden der Ausgabe 31 in der Präsenz erzeugte in mir hohe Erwartungen. Die kleine Stadt Bad Doberan zog voll mit. Schließlich bringt das große Festival, Fans aus ganz Europa und Musiker*innen aus aller Welt in die „Zappa Town“, wie das Schild am Stadteingang am Ende der Autobahn ankündigt und verspricht.

Auch wenn die Erleichterung zunächst siegte, die Aussicht sich ins Getümmel zu stürzen, Freunde zu treffen, sie fest die Arme zu nehmen, tagsüber ans Meer zu fahren, mit dem Rad durch den Wald und Abends zum Konzert zu gehen und schmunzeln, wenn ein Meer an Zelten und Wohnwagen rund um das Gelände einen fast überwältigt, ein WOW-Erlebnis blieb die Zappanale 2022  gegenüber den Besucher*innen, schuldig.

Programm am Vorabend

Die Jubiläumsausgabe im Jahr 2019 war programmatisch so überragend, dass es den Macher*innen ohnehin schwer fiel, das Programm zu toppen, vor allem nach 2 Jahren Auszeit, „Tortur“ wie es in Zappa-Kreisen und auf der Homepage heißt.

Die Erwartungen für ’22 waren riesig, dann kam die schlechte Nachricht schon vorab: die Absage von Dweezil Zappa, der Sohnemann, auch ein virtuoser Gitarrist enttäuschte die Macher*innen mit der Erklärung, erst im Jahr 2023 auf Europa Tour zu gehen. Das, was der Hauptact hätte sein sollen, fiel schon mal weg. Das war und ist bitter.

https://www.youtube.com/watch?v=djqDBWAcNyU&ab_channel=MysticRhythmsLive

Als es endlich losging, am Donnerstag (14.07), mit einem Mini-Akt aus 4 Bands in der wunderschönen Location Klostergarten unweit von dem Doberaner Münster (der Blog hatte berichtet), war die Vorfreude auf dem Höhepunkt. Die, die dort waren, so wurde mir berichtet, sollen die ganze Nacht nach den Konzerten noch gefeiert haben. Für die 4 Bands gab es nur Lob. Dennoch: In Europa herrscht Krieg, die Preise für Lebensmitteln und Dienstleistungen waren schon zum Zeitpunkt des Kartenvorverkaufs in unermessliche Höhen gestiegen. Das lebensnotwendige Getränk jeden Open-Air-Festivals, das Bier, kostete bei der Zappanale zwischen 5,00 und 7,00 Euro. Auch die Eintrittspreise sorgten bei Stammbesucher*innen für sehr viel Unmut.

Unzählige Male hörte ich (manchmal mit halbem Ohr oder auch wenn ich gezielt nach ihren Eindrücken fragte) auch von den Alteingesessenen: „Das ist wahrscheinlich das letzte Jahr, dass ich hierher komme„. Zwei Zappa-Fanatiker aus Berlin, bis vor einigen Jahren noch Stammbesucher des Festivals, haben sich erst gar nicht auf die Reise in den hohen Norden gemacht. Der Festivalpass war ihnen zu teuer.

Wenig Highlights

Die Klimakrise hat sich in Bad Doberan schon Mitte Juli, blicken lassen. Zunächst gab es Regen, dann Sonnenschein. Aber es blieb bei kalten Temperaturen. Hinter dem Mischpult an der Hauptbühne gab es ein Zelt, abschlossen mit durchsichtigen Plastikvorhängen und wie ich meine, auch beheizt. Wohnzimmeratmosphäre ist zwar nett und gemütlich für Gespräche (und davon haben wir viel Gebrauch gemacht), fördern aber nicht gerade die Stimmung bei einem Open-Air-Musikfestival.

Freitag (15.07.) am frühen Abend enttäuschte die Band „Fido plays Zappa“ musikalisch und von der Bühnenpräsenz her. „Fido“ ist eine prächtige Nummer auf der Szene von Zappa-Afins und Experten und durchaus sehr beliebt. Trotzdem: vom Hocker gehauen hat mich das Konzert nicht; zu bürokratisch, dem Anschein nach, eine schon länger durchgeführte Choreografie, kein Funk, keine Überraschungsmomente, keine Einheit unter den Musikern. Darüber hinaus fand ich es schon gewöhnungsbedürftig, dass der Frontmann zwischen dem einen und dem anderen Titel (alle auf Englisch, natürlich) betonen musste, dass er sich nicht allzu sehr mit „Anglizismen“ beschäftige. Stimmungskanonen sind die langwierigen (und überflüssigen) Erläuterungen nicht gerade. Gleich nach der „Ansprache“ kam dann der Titel „Dirty Love“, ein Zappa-Evergreen, den er gut und gerne in die Sprache von Schiller und Goethe hätte übersetzen und performen können. Tat er natürlich nicht. Das ist das Kapital einer Cover-Band ist der Wiedererkennungseffekt und somit auch die Credibility sich an das Werk des großen Meister, zu wagen.

An diesem Abend fehlte nicht nur ein NICHT gut geschnürtes Paket wie bei „Fido“ sondern auch die Frische, z.B. durch musikalische Überraschungen, die einfach in der gewünschten Intensität an einem Freitag Abend nicht kommen wollten. Aber zur Prime Time, am Samstagabend sollte die musikalische Versöhnung doch kommen: zunächst mit einer Band aus Wien.

Die lokale Zeitung berichtet

Liberation Orchestra“ aus Wien mit 12 Männern und Frauen war die erste positive Überraschung des zweiten Festivaltages. Die Band spielte zum ersten Mal auf dem Festival, welches das Leben und das musikalische Erbe von Zappa auch indirekt und in allen möglichen Variationen mit den unterschiedlichsten kulturellen Nuancen versieht.  Die Onlineausgabe der österreichischen Zeitung „Falter“, definiert das Ensemble, so:

Das zwölfköpfige Wiener Orchester wurde von dem israelischen Komponisten Ron Oppenheim gegründet, um seine „Kompositionen von den Notenblättern zu befreien und daraus eine Botschaft von Selbsterfahrung und Freiheit werden zu lassen, ein persönliches Statement gegen Unterdrückung und Ausbeutung in unserer Gesellschaft“. Jazz, Klassik und Alternative Rock treffen aufeinander.“

Die Ostsee Zeitung war von „Liberation Orchestra“ so begeistert, dass die Wiener es sogar auf die erste Seite geschafft hatten. (Link)

Noch am Samstagabend (16.07.), im VIP-Bereich um einen Happen zu essen in der Pause zwischen zwei Bands, unterhielt ich mich mit Lukas Hageneder, dem sympathischen Trompetenspieler der Band, der auch nach über zwei Stunden nach Ende seines Konzerts kaum sein Glück fassen konnte: „Ich kann es nicht glauben, dass wir zu einem so tollen Festival eingeladen worden sind!“.

Die Bläser "Liberation Orchestra"
Die Bläser „Liberation Orchestra“

Zappa auf Französisch !

Die französische Band Raoul Petite, die schon in der Ausgabe 2011 bei der Zappanale dabei war, war unumstritten DAS Highlight der Ausgabe 31. Alle Merkmale von Zappas Musik, sprich, die absolute stilistischer Frechheit von Rap über Jazz, Pop-Trash und Reggae alles vollkommen undogmatisch (das Akkordeon durfte nicht fehlen) zu mixen, haben sie voller Begeisterung, Witz und Sarkasmus, bravourös und elegant, geliefert. Dazu Frauen waren Protagonistinnen auf der Bühne und ein französischer Flair, diese Melange, elektrisierte das Publikum. Szenisch, musikalisch und stilistisch ein Augenschmaus de Luxe! Selbst die kalten Temperaturen taten der Stimmung auf der Bühne und beim Publikum keinen Abbruch. Bis zur letzten Zugabe rührte sich keiner vom Fleck.

https://www.youtube.com/watch?v=lF0RJESUMK4&ab_channel=Lo0815

Der Samstag wurde musikalisch dann doch sehr versöhnlich und bescherte uns das so ersehnte Glücksgefühl mit allem, was dazu gehört. Aber nach der französischen Band sollte der Hammer-Abend noch nicht vorbei sein. Klaus, mein Kumpel alteingesessener Zappanale-Besucher schon aus früheren Zeiten, empfahl mir eine Band aus Ulm. Etwas skeptisch (Ulm ist nicht gerade eine Weltstadt) machte ich mich nur doch auf zur kleinen Bühne am Eingang des Geländes. Dort hatte die Band „Yasi Hofer Trio“ gerade angefangen zu spielen. Die Kraft der Musik und die Klangfarben gefielen mir auf Anhieb. Eine selbstbewusste Frontfrau, die, wie ich später bei den Recherchen zu diesem Artikel erfuhr, ihre Liebe zunächst der Geige widmete, bevor sie ihr Herz an die E-Gitarre verlor, zeigte sich eindeutig. Zappamusik geht auch mit selbstbewussten Frontfrauen. Schon mit 16 bekam Yasi Hofer ein Stipendium für das prestigeträchtige Berklee College of Music in Boston (USA).

Hauptbühne am letzten Abend
Hauptbühne am letzten Abend

Als das Trio um kurz nach Mitternacht mit dem Konzert begann, waren die Außentemperaturen schon wesentlich kühler. Und doch, die Virtuosität, die Klänge und vor allem die Präsenz der wilden und leidenschaftlichen Yasi Hofer, hielten uns alle, bis auf ein Paar Teenager, die von den Eltern nun doch lieber zum Zelt gebracht wurden, gefesselt bis spät in die Nacht, als sich der Mond in hanseatischer Perfektion zeigte.

Wie gut, dass das Trio sich an dem vertraglich vereinbarten Zeitfenster nicht hielt. Aufhören zu tanzen wollte auch niemand. Am Sonntag war der Höhepunkt am frühen Abend mit Mike Keneally Report, mit Must-Dance-Grooves, trotz der Kälte.

Die Stadt lebt!

Das kleine Städtchen lebt seine wildesten 4 Tage im Jahr während der Zappanale. Während dieser Tage wird die Bronzeskulptur im Ort zur Pilgerstätte. Diesmal lag die Kippe auf den Boden. Diese musste vom Boden aufgehoben werden, richtig in den Mundwinkel platziert, dann ging es mit den Handy-Klicks erst los. Es ist ein Kommen und Gehen wie auf dem Wochenmarkt.

Unweit der Hauptlocation, gibt es die inzwischen legendäre Ausstellung in der „Garage“, im Kulturzentrum im Ort. Dort tummeln sich ehemalige Musiker von Zappa, wie Robert Martin, die oft als Special Guests bei vielen Bands, spontan auftrat (auch bei Yasi Trio, im Übrigen) und Steffen Schindler vom RockRadio.de, der Medienpartner des Festivals. Der Sender, mit vielen sehr engagierten Mitwirkenden war der Garant, dass die Menschen, die zu Hause geblieben waren, die Live-Konzerte, mitverfolgen konnten.

Ausblick auf 2023

Es kann nur noch besser werden wenn Dweezil Zappa, mit seinem Projekt „Zappa plays Zappa“ 2023 ins das kleine Städtchen zum großen Festival kommt. Gerade er als enges Mitglied der Zappa-Familie!

Lange Jahre gab es Streit, insbesondere mit Gail Zappa (1945-2015), der Ehefrau des Meisters, über die Namensnutzung beim Festival in Bad Doberan. Geld wurde dafür gefordert. Inzwischen ist die Situation befriedet und eine Freundschaft verbindet Dweezil mit den Festivalmacher*innen.

Neulich auf der Facebook-Seite des Festivals hieß es: „Demnächst „NEWS“ bei Zappanale.de“. Wir sind gespannt bis es wieder heißt: Bad Doberan ist „Zappa Town“.

Link: www.zappanale.de

About Fatima Lacerda

Kultur, Fußball, Musik sind meine Leidenschaften. Reiseberichte sind ein Genuss!

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