Berlinale 2020 im Transit: Justierung der Vergangenheit und Blick auf die Zukunft

Meine biologische Uhr rebellierte zusehends, je näher das Datum der Berlianale rückte. Die diesjährige Berlinale geht mehrfach in die Geschichte ein. Nicht nur wurde die alte, rebellische Filmdame 70, sie wurde auch von ihrer Vergangenheit eingeholt. Die Verwickelung des Festivalgründers und langjährigen Leiters Alfred Bauer in den Naziapparat, eingefädelt vom Filmliebhaber und Propagandaminister Joseph Goebbels erschütterte die Öffentlichkeit und die Festivalleitung zugleich. Aber warum denn nur? Die Dokumente lagen im Bundes- und Landesarchiv. Warum sind die Recherchen aus der Redaktion von der Zeitung „Die Zeit“ ausgerechnet am Tag der jährlichen Pressekonferenz zum Festivalprogramm veröffentlicht worden? Bei den FilmemacherInnen, die einem Alfred-Bauer Preis gewannen, dürfte spätestens jetzt, beim Anblick des Bären im Regal, ein mulmiges Gefühl zur Tage treten.

Berlinale Logo 2020
Berlinale Logo 2020

Die Berlinale hat eine neue Leitung, ein Führungsduo. Es muss sich noch finden, gemeinsame Pläne schmieden. Was die Holländerin Mariette Rissenbeek (CEO) und der Italiener Carlo Chatrian im Jahr 2020 geliefert haben, war ein erster Spatenstich. Die Gründung eines Mini-Wettbewerbs (Encounters), dessen DNA „Filme mit Mut“ sind, ist alle mal begrüßenswert. Der Hauptwettbewerb, bei dem es um das Rennen um die Bären geht, hat seine DNA wieder gefunden. Zu den Stärken des jetzigen Leiters Chatrian gehört zweifelsohne, dass er ein Filmexperte ist und ein überragender Kenner des europäischen Films. Als ehemaliger Leiter des Locarno Film Festivals in der Schweiz zeigte er das Beste aus der europäischen Filmfabrik. Der Mann spricht neben italienisch noch englisch und fließend französisch, ist wortkarg und partout nicht medientauglich. Und das, wo doch sein Vorgänger Dieter Kosslick (2001-2019), mit seinem Hut, dem roten Schal, seine Überdreht- und Lockerheit, die Marke Berlinale geradezu meisterhaft repräsentierte. Die Gänge mit den Filmcrews bei den Galavorstellungen im Berlinale Palast galten als besondere Highlights. Mr. Berlinale stand im Mittelpunkt.

Zu begrüßen ist zwar, dass ab jetzt die Filme im Vordergrund stehen, aber Berlin ist eben nicht Locarno. Die Ausgabe 2020 war versehen mit einem Hauch Vertrauensvorschuss der BerlinerInnen. Aber jetzt muss das Führungsduo, liefern. Die neue Festivalleitung hat das Münchner Institut für Zeitgeschichte mit der Aufarbeitung der Vergangenheit des ehemaligen Festivaleiters Alfred Bauer beauftragt. Das ist ein erster Schritt in Richtung Vergangenheitsbewältigung und eine offene Tür für die Zukunft.

Weder Rissenbeek noch Chatrian sind klassische Sympathieträger aber vielleicht muss sich Berlin daran gewöhnen, keine Galionsfigur mehr auf dem roten Teppich zu haben.

Eliza Hittmann © Harrison Sheehan
Eliza Hittman © Harrison Sheehan

Überragender Wettbewerb + Diversität

Die Auswahl im Jubiläumsjahr war die beste der letzten Dekade. Eine herausragende Regisseurin aus der Independent Filmszene aus den USA, Eliza Hittman mit „Never Rarely Sometimes Alway“ war dabei, ein Teilnehmer der Nachwuchsplattform „Berlinale Talents“ im Jahr 2008, der Italiener Elio Germano, vertreten in gleich zwei Wettbewerbsbeiträgen, legte eine fulminante Performance in „Volevo Nascondermi hin. Dort, in der Hauptrolle, erweckte er den revolutionären Einzelgänger, Antonio Ligabue, wieder zum Leben. Germano durfte den Silbernen Bären für beste schauspielerische Leistung mit nach Italien nehmen.

Auch der brasilianische Film, mit insgesamt 19 Beiträgen über alle Sektionen verteilt, machte eine gute Figur. Der  unvergessliche Leiter, Dieter Kosslick sagte einmal: „Filme zeigen uns was in der Welt los ist„. Diese Prämisse ist der gespenstigen Dynamik des Zeitgeistes, zum Opfer gefallen. Wer die Vielseitigkeit und Vielzahl der brasilianischen Filme in der Berlinale angesehen hat, kann sich kaum vorstellen dass in dem Land kontinentaler Größe von den gegenwärtigen Machthabern, der Kultursektor systematisch und perfide gleichermaßen, stranguliert wird. Repressalien und Zensur gehören, dort, auf die Tagesordnung.

Schauspieler Elio Germano © Chico De Luigi
Schauspieler Elio Germano © Chico De Luigi

Der brasilianische Beitrag im Wettbewerb, enttäuschte erheblich und wurde von Presse und Publikum regungslos aufgenommen. Es fehlt an alle Ecken und Kanten, damit der Film, als Werk (und nicht nur als politisches Statement) den Hauch einer Chance auf eine Auszeichnung bekommt. „Todos os Mortos“ (All the Dead) ging, zu Recht, leer aus. Aber leider auch ganz andere Filme die das Prädikat überragend verdient hätten. „Siberia“ vom Veteranen Abel Ferrara, zum Beispiel. Der Preis für die beste Schauspielerin ging an Paula Beer in „Undine“, was ich persönlich nicht nachvollziehen kann. Der Bär in Silber wäre sicherlich bei der russischen Schauspielerin Natalia Berezhnaya, besser aufgehoben. In der Rolle als Natascha, bewies sie überragendes Talent in einem sehr gewagten Filmprojekt: „Dau. Natascha“.

Zu schade, dass der Film „Persian Lessons“ mit Lars Eidinger in der Hauptrolle in der Reihe Berlinale Special lief und nicht um die Bären konkurrierte. Eidinger, der nur wenige Tage nach Hanau ein gleichermaßen überraschendes, bemerkenswertes und authentisches Statement über den uns umgebenden Hass und wie er versucht, mit seiner Kunst dem entgegenzutreten bei der Pressekonferenz zum Film machte. Es flossen Tränen und den Journalisten ist warm ums Herz geworden. Als er dann bei der Gala-Premiere das Plakat mit seinem Photo signierte, ließ er sich die gesunde Portion Selbstironie nicht nehmen und setze unter seinem Auge ein Tränchen und untermauerte, er steht zu seinem außerplanmäßigen Gefühlsausbruch. Den Lars, muss man einfach lieben!

Der Bär in Gold

Der Hauptgewinn war, zum dritten Mal, dem iranischen Film gewidmet. Davor „Separation“ (2011) und „Taxi“ (2015). Der Regisseur von „There is no Evil“ sitzt fest im Iran und wie viele andere Cineasten, darf er seinen Beruf nicht ausüben. Da blieb die Berlinale ihrer politischen DNA treu und prämierte den Regisseur Mohammad Rasoulof mit dem goldenen Bären.  Als Unterstützung für Menschen im Iran – die ihr Leben riskieren können, wenn sie sich an ein Film beteiligen.

There is no evil ©laurent_poiget/Cosmopol Film
There is no evil ©laurent_poiget/Cosmopol Film

Sponsoren sind rar geworden

Ach, was waren das noch für Zeiten als JournalistInnen, FilmemacherInnen und KuratorInnen sich Abend für Abend in eine Lounge auf der obersten Etage eines Wolkenkratzers trafen – zum Champagner trinken und einfach den Tag ausklingen lassen können. Ob Champagne, Rote Bete Saft oder aber ChariTea, der Treffpunkt über den Dächern von Berlin war ein Highlight. Und der Wolfgang, als überragender Gastgeber rundete das Paket ab.

Die Uhrmacher sind weg, Nespresso ist weg und eine Lounge zum chillen gab es in diesem Jahr nicht. Immerhin, eine Interview-Lounge gab es. Das ist durchaus zu begrüßen, wenn man überlegt wie das Konzept der Bären Lounge in den vergangenen Jahren verfolgt wurde, Atmosphärisch war das Presse Zentrum im Hotel Hyat sehr gut aufgehoben aber es war alles ein bisschen dünn. Viele Sponsoren sind weg und nur einige wenige dazu gekommen.

Altes und Neues

Die alte Berlinale Spielstätte URANIA war wieder mit von der Partie. Der Grund ist vermutlich das komplette Wegfallen vom CineStar Komplex im Sony Center. Auch beim Berlinale Palast ist nichts mehr wie es einmal war. Der Empfang nach der Eröffnungsgala konnte nicht mehr im Adagio (im Keller) stattfinden und wurde ins Kulturforum verlegt. Im Vorraum eines Museums kann man, beim besten Willen, keine Partyatmosphäre herbeizaubern. Es ist zu hoffen, dass die Entscheidung für die Location der Eröffnungsparty, im Jahr 2021 glücklicher ausfällt.

Das Team vom Ticketcounter im Pressezentrum verdient den Preis Sympathieträger der Berlinale. Ganz gleich wie verschlafen man dort morgen erschien, fand man gut gelaunte, freundliche und super effiziente Mitarbeiter in einem internationalen Team.

Berlinale Kino
Berlinale Kino

Der Preis in punto Unhöflichkeit, null Kundenorientierung und Ineffizient geht an das Team vor den Kinosälen vom CinemaX. Auch die Saalmanagerin vom Kino 7 machte keine gute Figur. Die an den Tag gelegte Kommunikation darf als katastrophal bezeichnet werden. Im Vordergrund gilt Prinzipienfestigkeit statt Vernunft, Freundlichkeit und Verständnis für die, die ihrer journalistischen Arbeit nachgehen wollen. Auch außerhalb der Berlinale-Zeit ist die Lage dort im CinemaX nicht viel besser, eine Auskunft zu bekommen, zum Beispiel, ob die Verleihung des Publikumspreises eine oder zwei Verleihungszeremonien haben würde (um 17 und um 20 Uhr). Eine geglückte Unternehmenskommunikation sieht ganz anders aus.

Bis zur nächsten Ausgabe ist viel Zeit um weitere Verbesserungen und Erneuerungen anzupacken. Die nächste Berlinale kehrt auch wieder zum gewöhnlichen Zeitfenster zurück (11.-21.02.2021) Dann hat die biologische Uhr ihre Balance wieder und es kommt nicht zu dem grotesken Szenario, dass der Berlinale Kinotag im März stattfindet!

About Fatima Lacerda

Kultur, Fußball, Musik sind meine Leidenschaften. Reiseberichte sind ein Genuss!

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