Berlin Alexanderplatz: die größte Überraschung des Wettbewerbs der Berlinale

Es gehört sehr viel Mut dazu, einen Film machen zu wollen nach Vorlage eines bereits 1929 erschienen Buches. Als wäre dies aber nicht genug, wagt Regisseur Burhan Qurbani – die größte Hoffnung des deutschen Films seit Fatih Akin, der mit dem Goldenen Bären für „Gegen die Wand“ in der Berlinale 2004, Weltruhm erlangte – einen Klassiker neu zu interpretieren, dem Zeitgeist gebührend.

Berlin Alexanderplatz
Berlin Alexanderplatz

Es ist an sich ein Werk, durch das bereits vom Rainer Werner Fassbinder (1945-1982), dem Enfant Terrible des Deutschen Films, veredelt wurde. Damals hatte der WDR sage und schreibe 113 Millionen Deutsche Mark für die Produktion von 13 Episoden samt Epilog hinblättern müssen. Das war bis dahin das höchste Budget für eine Fernsehproduktion in West-Deutschland.

Berlin Alexanderplatz als Porträt der Gegenwart und dam, was aus Berlin geworden ist, hatte alle Indizien für ein bravouröses Scheitern. Das Gegenteil ist der Fall. Das 3-stündige Werk verfügt über ein bemerkenswertes Schauspielerensemble und als Nebeneffekt bringt es einen der besten Schauspieler Deutschlands zurück auf die Leinwand. Die Rede ist von Joachim Król. Als ein launiger Typ, der einen schon in die Jahre gekommenen Drogendealer spielt und gegenüber der neuen Generation seine Autorität untermauern muss. Seinen potentiellen Nachwuchs belehrt er mit philosophisch klingenden Weisheiten wie: „Es ist schwierig sich vom Teufel zu befreien wenn Du ihn einmal eingeladen hast„.

In Fassbinders Fußstapfen – ohne Angst – schlüpfen zu können, heißt, auch einen schwarzen Franz Biberkopf im Berlin der Gegenwart zu porträtieren.

Welket Bungué (32), geboren im Guinea-Bissau und portugiesischer Staatsbürger, spielt die Hauptrolle in dem Film, der sich als die größte Überraschung vom Wettbewerb herausstellt. Bereits 2017 hatte Bungué seine Premiere bei der Berlinale mit „Joachim“ des brasilianischen Regisseurs Marcelo Gomes. Jetzt aber kommt er nach Berlin für die Rolle seines jungen Lebens. Berlin habe ihn so gefallen, dass er nach Beendigung der Dreharbeiten sein Leben in Rio de Janeiro hinter sich ließ, um sich in Friedrichshain niederzulassen, wie er im Interview mit der Bild-Zeitung erklärt. Für ihn war das seit 2018 bestehende politische Klima in Brasilien mit einer der Gründe für seinen Umzug nach Berlin.

Francis wird Franz

Deutsch habe er drei Monate in Lissabon gelernt, teilte er auf der Pressekonferenz mit. In Rio de Janeiro und in der portugiesischen Hauptstadt hat er an einer Filmhochschule studiert.

Als der Schauspieler über seinen Werdegang spricht, sagt er, er habe immer Nomaden um sich herum gehabt. Als er über Berlin als Mikrokosmos und Raum zur Selbstverwirklichung spricht, kämpft er mit den Tränen.  Ich wollte von ihm wissen, wie er sich mit der Stadt Berlin arrangierte hat – als Vorbereitungsunterfangen für die Rolle – und ob es nächtliche Spaziergänge über den Alexanderplatz (Undercover, versteht sich) gegeben habe.

Er habe einen Coach gehabt, um, wie es im O-Ton hieß, authentisch rüber zu kommen bei der Verwendung der deutschen Sprache und das ist ihm mit Bravour gelungen.

Um sich in Berlin zu aklimatisieren, habe er sich nicht auf dem Alexanderplatz, sondern in der Hasenheide aufgehalten und die Neuköllner Nächte unsicher gemacht, hieß es in der Pressekonferenz.

©Frederic Batier
vlnr Reinhold (Albrecht Schuch), Francis (Welket Bungué)

Ironischerweise kann Bungué mit dem Alexanderplatz, als urbanen Fleck, sehr wenig anfangen. Weder tägliche noch nächtliche Spaziergänge haben stattgefunden, da die freie Interpretation von Alfred Döblins Roman in die Gegenwart, in die Hasenheide, als HotSpot der Drogendealer , verlegt wurde.

Berlin’s bekanntester Platz scheint aber bei der Vorbereitung zur Performance auf der Leinwand gar keine so große Rolle gespielt zu haben. Im Interview mit der Bild-Zeitung erzählte er, der Alex sei nicht unbedingt ein Ort, in dem man sich aufhalten möchte. Statt dessen sollte man dort „mehr Bäume pflanzen“. Wo er Recht hat …

Die Bild-Zeitung und die WELT sprechen von „Der schwarze Biberkopf“ und reduzieren die Filmthematik so auf die Hautfarbe. Wen wundert’s? Was die besagten Journalien nicht verstanden haben, ist die politische Botschaft: Wie  Bunguè sagt, komme man nach Berlin,“um zu sein was man sein möchte“.

Zweisprachige Dialoge

Der Film erfordert viel Konzentration der Zuschauer, denn die Dialoge sind, in minimalen Abständen abwechselnd, in Deutsch und Englisch. Bungué zeigt in diesem Film herausragende schauspielerische Leistung und man glaubt ihm jedes Wort von Anfang an. Überhaupt ist das Drehbuch eines der besten dieser Berlinale.

Aus dem Francis, der es als Geflüchteter von Afrika bis nach Deutschland schaffte, wird Franz, „umgetauft“ von seinem besten Freund und Feind Reinhold. Ebenso überragend gespielt von Albrecht Schuch.

Auf der Pressekonferenz zeigte Bungué eine Lederjacke mit der Aufschrift: „Wir sind alle Migranten“ und „Elenão“ (Nicht Er), ein Spruch, der im Vorfeld der brasilianischen Präsidentschaftswahlen im Oktober 2018 in den sozialen Netzwerken kursierte als Widerstand zum damaligen Kandidaten Jair Bolsonaro.

©Berlinale

Die politische Botschaft

Im dem Augenblick als wir beschlossen hatten, dass Franz Biberkopf ein schwarzer Flüchtling aus West-Afrika und sein Kumpel Reinhold ein weißer Deutscher sein würde, begaben wir uns auf ein sehr schwieriges Terrain„, sagte der Regisseur auf der Pressekonferenz. Dass Franz sich nicht damit begnügt ein Dach über den Kopf und Butterbrot zu haben, deckt sich mit dem Verständnis des Regisseurs, dass die Migranten zwar hier sind, aber unsichtbar gemacht werden. Man sucht sie, in den höheren Etagen der Unternehmen oder in leitenden Positionen in wichtigen kulturellen Einrichtungen, vergeblich.

Glanzvoller Auftritt

Die Verfilmung von Berlin Alexanderplatz hat bereits jetzt vieles in der Filmlandschaft Deutschlands verändert und der Sektion Wettbewerb seine DNA zurückgegeben. Will heißen: Es wird wieder so sein, dass hier junge Talente gezeigt werden, ausgezeichnet werden und Chancen auf (Welt-)Berühmtheit haben. Bei der Gala-Premiere, die als Barometer gilt, gab es schon mal Standing Ovations.

Die Filmcrew war durch die begeisterte Resonanz so aus dem Häuschen, dass sich alle in die Arme gefallen sind. Staatsministerin für Kultur- und Medien, Monika Grütters (CDU), war auch dabei und saß neben dem alten Hasen der deutschen Filmkunst, Joachim Król. Die beiden gingen sehr herzlich miteinander um und hatten offensichtlich viel Spaß.

Bären gleich aufs Regal

Ob Regisseur Christian Petzold („Undine“) oder Schauspieler Welket-Bungué, mit seiner gerade bezogenen Wohnung in Friedrichshain, sich den Bären am gleichen Abend ins Regal stellen werden, bleibt abzuwarten. Auch ein guter Anwärter auf den silbernen Bären für beste schauspielerische Leistung ist der Italiener Elio Germano, der 2008 beim Talent Campus (heute Berlinale Talents) zum ersten Mal dabei war.

Sicher ist: Die Karriere von Welket-Bungué hat, mit der Rolle des Protagonisten, zurecht, einen erheblichen Schub bekommen. Die ProduzentInnen von Hollywood dürften schon hellhörig geworden sein.

 

Ab 16.04. ist der Film in den regulären Kinos zu sehen.

About Fatima Lacerda

Kultur, Fußball, Musik sind meine Leidenschaften. Reiseberichte sind ein Genuss!

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2 comments

  1. Dies ist ein wirklich erstaunlicher Artikel. Ich bin froh, dass ich diesen Beitrag gefunden habe. Vielen Dank, dass Sie tolle Informationen mit uns geteilt haben.

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