Dort, wo bei schönem Wetter kleine Ruderboote das seichte Wasser des Plötzensees in Bewegung bringen, standen vor vielen Jahren noch Häuser. Mehr noch, ein ganzes Dorf war da angesiedelt, mit Kirche, Dorfplatz und einem Ziehbrunnen unter einer schattigen Linde.
So erzählt eine Sage, die sich um den Plötzensee rangt, der seinen Namen nach der Plötze trägt, die einst noch zahlreich im Wasser schwamm. In diesem kleinen Dörfchen lebte ein roher und gewalttätiger Dorfschulze, der die Bewohner tyrannisierte, wo er nur konnte.
Als der Dorfschulze eines Abends von einem Nachbardorfe, wo er vorteilhaft Holz verkauft hatte, zurückkehrte, sprang ihm der Geist auf den Rücken und hielt sich am Nacken fest. „Trage mich schnell nach dem Nachbarorte zurück“, rief er grollend dem zu Tode Erschrockenen zu. Dieser fluchte greulich und sträubte sich aus Leibeskräften. Aber der lachende Geist stieß dem Schulzen die Beine in die Seiten, wie man es bei einem störrischen Pferd tut, und der Dorfschulze musste seinen seltsamen Reiter zurück ins Nachbardorf tragen.
Über Stock und Stein ging der Ritt in mitternächtlicher Stunde dahin, bis der Geist kurz vor dem Nachbardorfe die Umkehr befahl. Nochmals wurde dieselbe Strecke zurückgelegt, und der Reiter drückte immer schwerer und schwerer, so dass der Dorfschulze schließlich erschöpft in die Knie sank. Mit dem Rufe: „Nun fühlst Du selbst, wie Du die Armen bisher bedrückt hast! Vorwärts, Du Leuteschinder!“, trieb ihn der unerbittliche Rächer zu neuem Lauf an.
Als sie nach längerer Zeit, die dem Schulzen wie die Ewigkeit vorkam, am Dorfbrunnen anhielten, wurden die Griffe des Rachegeistes lockerer. Das nutzte der schlaue Bauer, schleuderte mit letzter Kraft seinen Plagegeist in den Brunnen und rief ihm höhnisch einen kräftigen Fluch nach.
In diesem Augenblicke ertönte ein furchtbares Getöse. Dann senkte sich langsam der Boden und mit ihm versank alles: die Häuser, die Bäume, die Wiesen, die Äcker, die schreienden Menschen. Immer mehr Wasser stieg rauschend aus dem Brunnen und bedeckte alles mit seinen kühlen Fluten. Nichts blieb vom Dörfchen und seinen Bewohnern übrig; ein wogender See bedeckt seitdem weithin die Gegend.
Noch heute werden Im See die Plötzen hin und wieder von einem gewaltigen Hecht aufgescheucht, der die kleineren Fische ruhelos im See umhertreibt. Wenn aber in stillen Nächten der Vollmond neugierig auf den See niederblickt, dann läuten die versunkenen Kirchenglocken des einstigen Dorfes leise und langsam in der Tiefe. Erschreckt flüchtet der Hecht ins Röhricht, während die Plötzen ganz regungslos stehen, als ob sie andächtig den fernen Klängen lauschen.
Text und Fotos: Klaus Tolkmitt