Die Berlinale braucht ein Profil und eine Zukunft mitten in der Stadt

Die neue Leitung der Berlinale hatte eine undankbare Aufgabe. Im Jahr 2020, dem ersten Jahr nach dem Ende der prägenden Ära Kosslick, fand das Festival, dem ohnehin die Zeit die notwendigen Justierungen im Format und Programmatik gefehlt hatte, außerdem noch im Schatten des Terroranschlages von Hanau statt.

Der Berlinale Kinotag an jenem Jahr führte zu einer noch nie dagewesene Schlange, die sich vom Berlinale Palast bis zum Potsdamer Platz erstreckte. Auf den Weg zur Verleihung des Panorama Publikumspreises fragte ich eine Frau, wofür sie dort anstehe: „Berlin Alexanderplatz“ sagte sie. Dieses Bild von der letzten richtigen Berlinale sollte in mehrfacher Hinsicht, in die Geschichte eingehen. Es sollte einen Seltenheitscharakter bekommen, der im Jahr 2022 seinen Höhenpunkt erreicht.

Ab März 2020 stand die Welt Kopf und alle Festivals – weltweit – mussten neue Formate, Ausdrucksformen und neue Profile kreieren. Die Berlinale hatte noch eine „Schonfrist“ bis Februar 2021 aber die Dynamik holte die Planung ein. Im Dezember 2020 stand ein Lockdown vor der Tür und die Absage kam zwar spät, war aber unausweichlich.

Bonus

Während Festivals, die unter heißer Sonne stattfinden, wie Cannes und Venedig, dem abrupten Kontinuitätsriss mit einem blauen Augen davon kamen, weil das Klima auch durch viele Open-Air-Aktivitäten auf ihrer Seite war, stand die Berlinale buchstäblich vor dem Nichts. Es gab kein Konzept und auch keine Idee im Schatten der neuen Wirklichkeit, das Festival wettbewerbs- und zukunftsfähig zu gestalten. Das Treffen der Industrie (EFM) wurde 2021 im März online abgehalten und das Präsenz-Event wurde verschoben auf den Berliner Sommer, mitten in die Urlaubszeit und Badesaison.

„Summer Special“

Die Ausgabe 2021, aus der Not entstanden, fühlte sich nicht wie die Berlinale an, die wir kannten und liebten. Der Versuch, einen Marketingzusatz in dem Format zu platzieren, „Sommer an der Spree“ in Anlehnung an die Leichtigkeit der Cote D’Azur, zündete nicht richtig. Die Stimmung war ok, aber der Stempel der Berlinale und die ganz besondere Note waren weder an der Spree noch in den anderen meist improvisierten Kinos spürbar.

Faktisch hatte die Berlinale 2021 nicht stattgefunden. Eine Festivalatmosphäre war kaum vorhanden und die Vorschriften, manchmal gerechtfertigt manchmal maßlos überzogen, übernahmen die Rolle des Protagonisten. Eine Ausgabe die keine war und ohnehin zum vergessen ist.

Ausgabe 2022

Die Politik versprach das Comeback der „Normalität“ und es kam alles, wie es die Wissenschaft prognostiziert hatte. Die Macher*innen der Berlinale beharten darauf, das Festival in Präsenz stattfinden zu lassen, trotz horrender Infektionszahlen auf dem Höhepunkt der Omikron-Welle.

Manche Zeitungsartikel warfen die Berlinale „Gestrigkeit“ vor. Andere mutmaßten, das Festival werde sein „Ansehen verlieren“. Ein Redakteur vom lokalen Fernsehsender nannte die diesjährige Berlinale 2022 „Geisterspiele“. Nicht etwa wie in Fußballstadien, bei denen die Mannschaften vor leeren Rängen spielen müssen, aber Kinos mit 50% ihrer Kapazitäten lassen eben auch keine schöne Festival-Atmosphäre aufblühen. Trotzdem. Die aufgedrückte Ausgabe 2022 fand in Stille statt. Die Karten waren meist ausverkauft aber die Straßen leer, das Wetter oft nass, kalt und regnerisch. Aber auch als sich die Sonne zeigte, war Berlin im Winterschlaf.

Kein internationales Flair

Den roten Teppich entlang gelaufen sind eher bekannte Gesichter der deutschen Schauspielkunst. Dies wurde spätestens klar bei der Eröffnungsgala am 09.02.2022: Maria Schrader, die bezaubernde Marie Bäumer, Daniel Brühl, Heike Makatsch und die üblichen Verdächtigen waren da. Das hatte den Charakter einer regionalen Party, auch dann, wenn die Bilder in die große weite Welt ausgestrahlt wurden.

Die „anderen“, die kamen, sind schon Routiniers in der Hauptstadt, wie die französische Schauspielerin Juliette Binoche, die im Jahr 2019 als Jury- Präsidentin fungierte oder die britische Schauspielerin Emma Tompson, die 2016 in einem Marathon Autogramme entlang des roten Teppichs gab, als sie den Film „Alone in Berlin“ vorstellte, oder aber der französische Regisseur François Ozon der dieses Jahr das Festival mit seinem neuen Film, eröffnen durfte.

Glamouröse Stars aus Hollywood glänzten durch Abwesenheit, sicher zum Teil aufgrund der Pandemie, aber diese Entwicklung zeichnet sich bereits 2020 ab. Die Berlinale steckt in einer Identitätskrise, verschärft und verdeutlicht durch die 3 Jahre Pandemie. Bisher ist nicht ersichtlich, ob die Macher*innen diese Erneuerung überhaupt für notwendig erachten.

Unbegrenzte Freude ©Berlinale
Unbegrenzte Freude ©Berlinale

Warm ums Herz

Bei der Verleihung des Silbernen Bären für den Film „Sunday Morning“ der Sektion Berlinale Shorts (unter meinen Filmtipps im Vorfeld der Berlinale) war die Rede des brasilianischen Regisseurs Bruno Ribeiro einer der emotionalsten Momente des Festivals. Sichtlich gerührt, widmete er den Preis seiner kürzlich an Covid19 verstorbenen Mutter. Gleichzeitig konnte er sein Glück nicht fassen den Weg durch Crowdfunding ins ferne Berlin geschafft zu haben und dazu noch eine so große Unterstützung für seinen Film zu erhalten.

Die dreiköpfige Jury begründet den Preis für den Film „Sunday Morning“ in der Laudatio wie folgt:

In scheinbar zusammenhangslosen Vignetten bewegt sich der Film von der Nervosität um ein Klavierkonzert hin zum Umgang mit der Erfahrung von Trauer. Spannung entsteht in den subtilen Momenten, in denen die Protagonistin zwischen der Realität und ihren Erinnerungen oszilliert. Mit einer außergewöhnlichen Kontrolle über das filmische Bild zeichnet Bruno Ribeiro das Portrait einer mit einem Verlust konfrontierten Künstlerin im inneren Kampf zwischen Angst und dem Wunsch es zu schaffen.”

Regisseur im Glück mit der Silbernen Bären ©Berlinale
Regisseur im Glück mit der Silbernen Bären ©Berlinale

Task-Force „Zukunft“

Wenn schon zum Ende der Ära-Kösslick (2019) das Festival mehr und mehr an Kontur verlor, so wurde dieses Bild durch die Pandemie nur noch deutlicher. Das stellte die Macher*innen vor großen Herausforderungen. Die Notwendigkeit von Flexibilität im Format, mehr Mut bei den Filmen in der Sektion Wettbewerb um das Rennen um die Goldenen- und Silbernen Bären.

Durch die Übernahme von Carlo Chatrian als Künstlerischer Leiter wurde deutlich, die Linie-Kosslick wurde beibehalten mit dem Unterschied, dass Chatrian ein besessener Kenner des europäischen Kinos ist.

Seit 2020 verliert die prestigeträchtige Sektion „Competition“ erheblich an Profil, denn an Festivals, die den europäischen Film im programmatischen Blick haben, fehlt es nicht.

Die Berlinale-Competition begibt sich in die Gefahr, der beliebigen Austauschbarkeit. Sie bleibt programmatisch bequem, wurde träge und gar einfallslos. Das ist das Hauptproblem der Berlinale.

Lediglich die Reihe „Encounters“ ist mutig und bietet ein Forum für völlig unbekannte Regisseur*innen, die aus der Sicht der Kurator*innen, neben einem Qualitätssiegel einen Vertrauensvorschuss bekommen und einem ganz großem Publikum vorgestellt werden. Darin bestand noch vor Jahren die Stärke der Berlinale, Sektionenübergreifend vollkommen unbekannte Cineasten nach Berlin bringen, sich dem neugierigen, frage-hungrigen und anspruchsvollen Berliner Publikum vorzustellen.

Am Ende des Festivals waren diese Newcomer entweder weltberühmt oder hatten nach dem Ergattern eines Bären mehr Gewicht im Koffer oder beides. Diese Kombination ist in den meistens Sektionen, verloren gegangen. Die Berlinale braucht eine Erneuerung, damit sie eine Zukunft in der Reihe der Kategorie A-Festivals hat.

Geisterspiele
Geisterspiele

Tristesse in Zentrum

Es ist schon eine traurige Parallele, dass der ursprünglich so gehypte Potsdamer Platz als das Neue Zentrum Berlins so verkommt wie die das Sony Center, die Einkaufsmeile „Arkaden“ und die Hauptspielstätte der Berlinale selbst, der Berlinale Palast. Der Vertrag wurde zwar verlängert aber in diesem Gebäude, so verknüpft mit der Geschichte der Berlinale seit dem Mauerfall, wird erstmals zu einer Baustelle, wie unzählige andere in dieser Stadt. Im Frühjahr werden die „Arkaden“ wieder eröffnet. Ob dies allein reicht den Standort zu beleben und wieder zum Hotspot zu machen, darf bezweifelt werden.

Die Berlinale kommt an einer tiefgreifenden Erneuerung nicht vorbei. So wird es nicht mehr notwendig sein, wie bei der Eröffnungs-Gala wiederholt die Bedeutung dieses Festivals zu betonen. Die Moderatorin des Abends durch Schauspielerin Meret Becker wollte nicht zünden und die Sehnsucht nach Anke Engelke, die jahrelang, die Galas moderierte, spiegelte sich in den Netzwerken.

Die Erneuerung der Berlinale, ganz gleich wie sie aussehen soll, muss die Stadt Berlin und seinem einzigartigen Publikum mit neuen Formaten mit einschließen. In der Ausgabe 2022 waren beide wie Fremdkörper.

Link: Berlinale.de

About Fatima Lacerda

Kultur, Fußball, Musik sind meine Leidenschaften. Reiseberichte sind ein Genuss!

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