Hertha Berlin vs FC Union im Olympiastadion: Ein Derby im Zeichen des COVID19

Der 27. Spieltag der Bundesliga feiert im großen Stil den Fußball in Berlin. Sicher ist es nicht der Fußball, den wir sonst kennen, und mulmig ist einem schon, wenn die Kurve im Stadion gähnend leer ist. Auch wenn der Wiederkehr der Bundesliga eine sehr gewagte Entscheidung zugrunde liegt, gibt es an diesem langen Wochenende einen Grund zu feiern.

Die DFL (Deutsche Fußball Liga) hat ein mehrseitiges Papier „Medizinisches Konzept für Training und Spielbetrieb im professionellen Bereich in den Monaten von April bis Juli“ auf den Tisch gelegt mit allen Vorkehrungen logistischer Natur, damit die Spiele so gut wie sicher stattfinden können.

Im Olympia-Stadion treffen sich Hertha und FC Union am 22.05. zum Hauptstadtderby. Das gab es nicht oft zwischen beiden Teams. Die symbolische Begegnung auch vor prestigereicher Kulisse war kurz nach dem Fall der Mauer ein Freundschaftsspiel. An jenem 27. Januar 1990 war die Freude überwältigend, die Zeichen standen auf Veränderung, auf Zusammenwachsen, die Wende war voll im Gange. Für den Preis von 5 Ost- oder Westmark haben sich 51.270 ZuschauerInnen auf den Tribünen sehen lassen. Schon damals war die Anhängerschaft des FC eine Unterhaltung für sich. Kultcharakter genoss sie damals auch schon und laut eines Porträts, veröffentlicht auf dem Portal von  Deutschlandfunk, waren die Unioner, also die Eisernen, im Vorteil auf den Rängen. Theo Gries, ehemaliger Stürmer und heute Scout-Chef bei Hertha, hat sich ein schönes Andenken aufbewahrt.

©Thomas Wheeler / Deutschlandfunk
Theo Gries, ehemaliger Stürmer beim Hertha-BSC

Der Freudentaumel über das vereinigte Berlin, die erste Begegnung zwischen den beiden Berliner Teams, könnte nicht symbolischer sein. Wer Fußballkönig im Berlin sein würde, war damals noch kein Thema. Die wirtschaftliche Situation der Ost-Klubs war nah an der Insolvenz und der Deutsche Fußballbund (DFB) hatte erhebliche Zweifel an deren Wirtschaftlichkeit im neuem Finanzraum der starken Deutschen Mark.

Bei der Zusammenlegung und Platzierung von Mannschaften auf beiden Seiten der Mauer „erlaubte der billigste den ehemaligen DDR-Vereinen in seinen beiden Profiligen nur acht Plätze – zwei in der Bundesliga und sechs in der Zweiten Liga“. (Quelle: Google).

 

Heimat 1.FC Union
Heimat 1.FC Union

Die Equipe aus dem beschaulichen Köpenick musste im Laufe ihrer Geschichte viele Rückschläge erleiden, bis in der Saison 2019/2020 der Traum des Aufstiegs in die Prestigeliga in Erfüllung gehen konnte, und dies geschah im großen Stil: Im Rahmen der Relegationsspiele im eigenen Stadion, in der legendären Alten Försterei. Das Stadion kann auf eine bemerkenswerte Geschichte zurückblicken. Der Fußballtempel (der aber auch für Kongresse gebucht werden kann) beherbergt 22.012 Fußballverrückte. Eingeweiht wurde sie im Jahr 1920 und nach der Renovierung, 2013, wiedereröffnet mit dem Freundschaftsspiel zwischen FC Union und Celtic Glasgow (3:0), erlangte das Stadion Weltruhm während der Weltmeisterschaft in Brasilien, als es in ein Wohnzimmer verwandelt wurde und die Lieblingsbeschäftigungen der Deutschen vereinte: Fußball und WOHNEN!

alte Försterei - Außenansicht

Fußball ohne Seele

Neben dem Freundschaftsspiel sind die beiden Teams nicht oft aufeinander getroffen, wenn es um die Wurst ging, also um 3 Punkte.

Insgesamt waren es 4 Begegnungen, während die beiden Mannschaften in der 2. Liga krepierten.
17.09.2010 FC Union – Hertha 1:1
05.02.2011 Hertha –  FC Union 1:2
03.09.2012 FC Union – Hertha 1:2
11.02.2013 Hertha – FC Union 2:2

Das erste Spiel auf Augenhöhe in der 1. Bundesliga fand erst am 02.11.2019 statt.

In veränderten Zeiten und mit zivilisatorischen Folgen, die wir bislang nicht abschätzen können, übt sich die schönste (und teuerste) Nebensache der Welt in ein bisschen Normalität, auch um die finanziell lädierten Vereine vor dem Ruin zu retten, aber insgesamt auch, damit der Rubel wieder rollt. Fußball als Opium fürs Volk? Die Quarantäne ist zwar so gut wie vorüber, aber das Home-Office bleibt und Großveranstaltungen bleiben verboten. Also, beim Fußball kann man auf andere Gedanken kommen.

Für die Unioner ist dieses Spiel wichtig in puncto Prestige. Nicht jeden Tag spielt der Verein aus Köpenick auf der Weltbühne des Fußballs.

Karl-Heinz Rummenigge, CEO des FC Bayern, auch als Rolex-Kalle bekannt, ist immer gut im Bilde. Schon vorm Restart der Liga sprach er stolz über „weltweites Interesse“ an den Spielen. Deutschland ist das erste Land in Europa, das den Ball wieder rollen lässt. Die Motivation, das grüne Licht aus der Politik, hatte nicht nur Sportliches im Sinne. Auch die Landesväter, insbesondere der Ministerpräsident von NRW, Laschet, sowie Markus Söder aus der bayerischen CSU, machten viel Druck. Allein im bevölkerungsreichsten Bundesland sind vier Mannschaften beheimatet (Borussia Dortmund, Bayer Leverkusen, Gladbach, Fortuna Düsseldorf). In Bayern residiert gediegen der Verein mit dem legendären Festgeldkonto, der FC Bayern München.

Blick aus dem U-Bahn Ausgang
Eingang aus Richtung U-Bahn

Hertha auf dünnem Eis

Für den Verein aus Charlottenburg steht speziell in dieser Begegnung viel auf dem Spiel.

Salomon Kalou, Hertha-Stürmer und Liebling der Kurve, erlaubte sich, Physiotherapeuten, Ärzte und Mitspieler direkt in der Kabine live fürs das World Wide Web zu filmen, wie sie aufeinander gehockt sitzen und sich Handschläge geben. Mundschutz und Handschuhe ließen sich schmerzlich vermissen. Dazu winkte Kalou mit dem Gehaltscheck, dessen Höhe nicht nach seinem Gusto beziffert war. „Wollen die uns verarschen?“, fragte er in die Runde. In verheerender Kombination aus Naivität, Unverschämtheit und mangelndem Anstand kompromittierte er den gesamten Hygiene-Plan der DFL. Währen die Bilder ein, zwei Tage vorher lanciert worden, hätte sich die Politik mutmaßlich für einen späteren Neuanfang entschieden. Das wäre auch für die Kanzlerin die favorisierte Option gewesen, aber Laschet hat große Ambitionen und musste vorpreschen.

Die Bilder von Kalou haben vor allem, die Reputation von Hertha BSC geschädigt. Welches Arbeitsklima mag dort herrschen, das solche Aussagen überhaupt möglich macht? Auch das Weggehen von Trainer Jürgen Klinsmann, der über seine Facebook-Seite und ohne mit dem Vorstand zu sprechen seinen Rücktritt ankündigt, lässt eine mehr als miserable Unternehmenskommunikation vermuten. Die Pressemitteilung nach dem Vorfall mit Kalou ließ kein gutes Haar an dem Verein. Dem Spieler allein die Schuld zu geben, ist nicht die feine englische Art. Über die Einberufung des ehemaligen Keepers Jens Lehmann zum Aufsichtsratsmitglied als Nachfolger von Klinsi darf man staunen. Lehmann gilt nicht als besonders helle. Vor einigen Wochen, als Gast der Sendung Doppelpass (Sport 1), schlug er in aller Seelenruhe vor, man könne doch in der Allianz Arena 20.000 Zuschauen zulassen. Dort könne man problemlos den Abstand einhalten. Die Reaktionen (Wut, Empörung) aus dem Netz ließen nicht lange auf sich warten.

Die Berufung von Bruno Labbadia zum Cheftrainer ist ganz und gar indiskutabel. Unter seinen vielen Stationen war er auch beim HSV zugange. In der Saison 2009/2010 und dann zum wiederholten Mal in der Saison 2015/2016. Nachdem er dem totgeglaubten HSV wieder auf die Beine half, versagte er wie schon in vielen anderen Clubs davor und wurde im September 2016 beurlaubt, nachdem er einen einzigen Punkt bei fünf Pflichtspielen holte. Bei Fürth und Stuttgart hinterließ er auch verbrannte Erde. Lediglich bei Wolfsburg hat er Erfolge zu verbuchen.

Eingang Olympia Stadion
Olympiastadtion Außenansicht

Im Blickfeld der Medien

Kaum ein Verein wird seit der Wiederaufnahme der Bundesliga so im Blickpunkt der Medien stehen wie Hertha BSC. Die Vorgeschichte ist lang. Am ersten Wochenende beim Auswärtsspiel gegen Hoffenheim haben die Spieler ein „Ihr könnt mich mal“ in Richtung DFL und dessen Abstandsregeln geschickt. Es wurde geküsst und umarmt was das Zeug hält.

Ironischerweise werden nicht viele Medienvertreter anwesend sein. Auch von der DFL geregelt, ist gerade mal Platz für 10 Medienvertreter auf der Tribune vorgesehen. So war es jedenfalls vergangenes Wochenende beim Topspiel zwischen FC Union und FC Bayern. Man stelle sicih vor, FC Union wartete Dekaden auf den Tag, an dem der Klub aus München antanzt und wenn dieser Tag endlich ankommt, müsse die Fans draußen bleiben.

Medienverteilung

Die ersten Plätze sind für die Agenturen DPA und SDI, der dritte fürs Magazin Kicker, der vierte für die Springerpresse (entweder Bildsport oder Die Welt) und die restlichen verteilen die Klubs auf die regionalen Blättern. Die Medien werden kein Detail außer Acht lassen. Es sieht so aus, als hätten die Eisernen aus dem beschaulichen Köpenick die besseren Karten vor dem Hautstadtderby. Die drei Punkte aus dem Auswärtsspiel gegen Hoffenheim sind ein willkommener Rückenwind und schaffen Selbstvertrauen. Aber Hertha muss bei diesem Spiel viel mehr beweisen. Es gibt viel aufzuräumen in Charlottenburg! So schaut’s aus.

Beide Teams, die damals beim Freundschaftsspiel sich noch grün waren, haben sich weit voneinander entfernt. Kein Wunder. Obwohl aus derselben Stadt könnten nicht unterschiedlicher sein in der Fußballkultur insgesamt, exemplarisch in der Mentalität und Präsenz in der Kurve, im Profil der Spieler (Einige Spieler von FC Union gehen nebenbei noch malochen) und nicht zuletzt in der Hymne. Im Falle der Herthaner ist Frank Zander mit dem Titel „Nur nach Hause“ die Stimmungskanone für die Kurve. Kein Glücksbringer. Nicht wirklich.

Freunde, was gibt es Schöneres, als hier im Stadion unserer Herthamannschaft die Däumchen zu drücken
Und sie von den Rängen zu unterstützen
Auf dem Weg nach oben
Nur nach Hause, nur nach Hause, nur nach Hause geh’n wir nicht
Nur nach Hause, nur nach Hausenur nach Hause geh’n wir nicht
Nur nach Hause, nur nach Hause, nur nach Hause geh’n wir nicht nur nach Hause, nur nach Hause, nur nach Hause geh’n wir nicht
Alle warten voller Spannung
Auf das absolute Spiel
Denn die Jungens von der Hertha haben alle nur ein Ziel: Heute wollen sie gewinnen
Für das blau-weiße Trikot Sowieso oh-oh oh-oh

Bei den Unionern wurde der Hymne verewigt durch Stimmwunder und weltberühmte Nina Hagen.

„Wir aus dem Osten geh’n immer nach vorn
Schulter an Schulter für Eisern Union
Hart sind die Zeiten und hart ist das Team
Darum siegen wir mit Eisern Union
Eisern Union
Immer wieder Eisern Union
Immer weiter ganz nach vorn
Immer weiter mit Eisern Union

 

Herthaspiel im Olympiastadion ©Fátima Lacerda

 

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Kultur, Fußball, Musik sind meine Leidenschaften. Reiseberichte sind ein Genuss!

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2 comments

  1. Ich danke Ihnen für den interessanten Artikel. Leere Fußballstadien sind natürlich etwas deprimierend für die Spieler. Da muss man aber jetzt erstmal durch. Für etwas wie Sport sollte man nicht die Gesundheit tausender Menschen gefährden.
    Mit besten Grüßen
    Sebastian

  2. Ein interessanter Artikel. Endlich mal wieder zum Fussball. Das Derby ging ja „für Hertha“ aus. Nun ja, wenn es beide Berliner Mannschaften unter die TOP 5 der Liga schaffen wäre ich zufrieden.

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