Berlin, Brüssel, Straßburg: Quo vadis, Europa?

In Zeiten von Politikverdrossenheit könnte man meinen, die Wahl zum neuen Europaparlament in Straßburg sei zu weit weg von Berlin und alles, was aus Brüssel und Straßburg kommt, würde zu oft als Bevormundung wahrgenommen. Allerdings spätestens seit dem kometenartigen Aufstieg von Rechtspopulisten auf dem alten Kontinent wächst, vor allem bei den Erstwählern, das Bewusstsein, dass nur Europa die Alternative zu Nationalismus, Krieg und Zerstörung sein kann. Sicherlich ist die Migrationsfrage die größte Herausforderung der Mitgliedstaaten, die in diesem Bereich ihre Hausaufgabe gefährlicher- und egoistischerweise nicht erledigt haben.

Strategisch platziert in der Leipziger Straße

Das Mittelmeer ist zu einem Ort des Todes geworden und die Mitgliedstaaten können sich immer noch nicht einigen, wie unzählige Tragödien verhindert werden können. Lange wurde Italien alleingelassen. Spätestens jedoch, seitdem die Partei Liga-Nord mitregiert, sieht die Lage ganz anders aus.

Das neue Gesicht der Rechtspopulisten in Europa ist Matteo Salvini, der gleichzeitig die Funktionen Vize-Ministerpräsident und Innenminister ausübt. Szenen von Booten, die mehrere Tage herumfahren und in Italien nicht anlegen können, kann er sich auf die Fahne schreiben. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban war gestern. Heute ist Malvini das Zugpferd der Populisten und zieht elegant an Orban vorbei. Seine neueste Eroberung ist die Frontwoman aus der Partei Front Nationale, die französische Politikerin Marine Le Pen. Vor einigen Tagen ist sie in Sophia, Bulgarien, eingetroffen, um mit anderen Gleichgesinnten auf der Zielgeraden zur Europawahl die Kräfte zu bündeln. Zu Gerüchten um Differenzen mit Salvini sagte sie am 04.05. im Interview bei Euronews: „Es ist nicht nur eine politische Zusammenarbeit. Malvini ist ein Freund. Der ist ein treuer Mann, der in wenigen Monaten zeigt, was der politische Wille alles kann„.

Deutschland hinkt hinterher

Dass Bundeskanzlerin Merkel die Erneuerungsbestrebungen vom französischen Präsidenten Macron auf Eis legte und ihn immer vertröstete, ist ein schlechtes Zeichen für die demokratischen Kräfte. Je mehr die Mitte sich spaltet und den Platz freimacht, desto mehr freuen sich die extremistischen Kräfte. Die deutsch-französische Achse ist inhaltlich tot, die lange Jahre für Stabilität in Mitteleuropa gesorgt hatte, bevor die Dynamik der Ereignisse außer Kontrolle geraten ist. Auch der im Januar diesen Jahres unterschriebene Aachener Vertrag, medial sehr hochgelobt, kann eher als symbolischer Akt interpretiert werden. Dem Wirtschaftswissenschaftler Henrik Enderlein geht der Vertrag „nicht weit genug“. Bei einem Interview im Deutschlandfunk kritisierte er, dass „die Verabredungen nicht konkret genug seien und man sich in vielen Punkten auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt“ habe. Darüber hinaus ist der Vertrag, der als Ergänzung zum Élysée-Vertrag (1963) gilt, obsolet. Die politische Karte von Europa hat einen Paradigmenwechsel vollzogen. Der Erfolg der Rechtspopulisten in Ungarn, Polen, Österreich und auch in Deutschland gekennzeichtet durch den Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag 2017, dort mit 93 Abgeordneten vertreten, sprechen eine gegenwärtige Sprache im Hause Europa, und der Haussegen hängt ziemlich schief.

Seitenhieb auf die Lage der Sozialdemokraten

Stadt-Staat Berlin

Im Stadtbild zeigt sich parteiübergreifend eine inflationäre Zahl von Wahlplakaten. Teilweise sind die Botschaften so, dass die Frage aufgeworfen wird: Wer ist denn überhaupt bei der und der Partei der Wahlkampfkoordinator?

Stresemannstraße /Kreuzberg/“Überarbeitetes Plakat“

Bei der SPD

Die Sozialdemokraten befinden sich in einer Identitätskrise, seitdem sie als Juniorpartner in GroKos sind und manche Themen von der Bundeskanzlerin abgenommen bekommen haben. Die Partei von Willy Brandt kämpft um ihre Existenz. Ein chronisches Personalproblem hat die SPD auch noch. Olaf Scholz, der gegenwärtige Bundesfinanzminister, hat Ambitionen bei den nächsten Bundestagswahlen, Andrea Nahles wäre für Europa in Straßburg indiskutabel. Kaum eine Politikerin ist so unbeliebt, ganz egal wo sie geht und steht, außer bei ihrem Wahlkreis im nördlichen Rheinland-Pfalz. Innerhalb der SPD ist sie stark umstritten, also bliebe nur die aktuelle Justizministerin, die britisch-deutsche Katarina Barley. In Zeiten von Brexit braucht Deutschland eine Integrationsfigur mit internationaler Ausstrahlung. Böse Zungen behaupten, Frau Barley habe nicht nach Brüssel/Straßburg gehen wollen, habe aber am Ende des Tages im Sinne der Partei entschieden, wie es sich für eine Sozialdemokratin im Sinne von Herbert Wehner (1906-1990), dem legendären Fraktionsvorsitzenden, gehört. Die Zeit , am 24.05. in dem Artikel „Bundeskanzlerin: Frauen vor dem Sprung„, hat es auf den Punkt gebracht: „An die Zukunft von Andrea Nahles glaubt keiner mehr„. Wie wahr, wie wahr!

Einfaches Rezept für gute Politik/Die Partei

Bei der FDP

Es ist gang und gäbe, „nach Brüssel geschickt“ zu werden, wenn auf nationaler Ebene die Resonanz nicht besonders gut ist und die Partei der oder dem Dank schuldig ist. Das war so mit dem Grünen Bütikofer und mit Cem Özdemir, als der Flugmeilen-Skandal herauskam. Die Überschrift der Berliner Zeitung damals war: „Özdemir musste gehen, weil er flog„. Das war noch wahrer Journalismus mit einer Prise Humor.

Nicola Beer ist das Aushängeschild der Freien Demokraten für Europa. Sie war einige Zeit als Generalsekretärin tätig und bei den Koalitionsverhandlungen für eine schwarz-gelb-grüne Regierung, genannt Jamaica. Damit hatte sie den bisherigen Höhepunkt ihrer Karriere erreicht. Man braucht keine Feinde, wenn der eigene Chef Beförderungsbestrebungen derart stranguliert, wie Parteichef Christian Lindner, mit dem Satz: „Es ist besser, nicht zu regieren, als schlecht zu regieren„. Das sagte er nach einem dramatischen Abgang von den Koalitionsverhandlungen an einem Sonntagabend. Danach war die Karriere von Beer in Berlin auch beendet und es blieb ihr „nur“ das Mandat im Bundestag.

Bei den Grünen

Ska Keller und Sven Giegold sind das grüne Spitzenduo für die Partei, die auf Bundesebene hoch im Kurs ist. Darum ist der niedrige Bekanntheitsgrad hier nicht hinderlich, sondern sie gelten als unverbrauchte neue Gesichter für das Zauberwort „Neue Politik“.

Die AfD und die Meutherei

Jörg Meuthen, der Albtraum von Frauke Petry, der ehemaligen AfD-Chefin, kandidiert für das Europaparlament; ironisch für eine Partei, deren DNA schon immer gegen Europa war, und die als Anti-Euro im parteipolitischen Spektrum hevorstach, damals noch moderat Mitte-rechts und unter dem Vorsitz von Bernd Lucke. Heute kennt ihn kaum jemand. Franz-Josef Strauß, Übervater und Galionsfigur aus Bayern und CSU-Aushängechild, sagte einmal:“Rechts von der CSU ist nur noch die Wand„. Genau zwischen der bayerischen Partei und der Wand hat sich die AfD niedergelassen, und es sieht nicht danach aus, als würde sie bald umziehen wollen.

Meuthen gilt als Hardliner und Strippenzieher innerhalb der Partei. Seine „Versetzung“ nach Brüssel entspricht nicht der gängigen Parteipraxis. Meuthen ist neben Gauland der wichtigste Mann in der menschenfeindlichen Partei. Dies wird mit dem Text auf dem Plakat in den Straßen von Berlin sichtbar: „Grenzen dicht machen„. Das klingt ja verdächtig einfach!

Tierwelt/Polemischer Aufruf

Die Partei

Das Zugpferd ist der Kabarettist und Autor Martin Sonneborn, der die letzten Jahre als Europa-Abgeordneter sehr gutes Geld verdient hat. Davor war er als Reporter bei der Satiresendung „ZDF heute-show“. Sonneborn verdient zusätzlich Geld mit Vorlesungen und mit seinem legendären Magazin „Titanic“, dem sarkastischsten im ganzen Land. Der polemische Aufruf wie im Bild zeigt, dass L’Equipe, zuständig für die Wahlkampagne und für den Entwurf der Plakate bei Die Partei, geniale Macher sind.

Die Demos Fridays for Future um die schwedische junge Frau Greta Thunberg haben die Diskussion um Umweltschutz erneut entfacht. Das letzte Mal, dass die Grünen damit erheblichen Rückenwind bekamen, war 2011, unmittelbar nach der Atomkatastrophe in Fukushima.

Gegen den Verdruss

Die Internetplattform Abgeordnetenwatch setzt sich für mehr Transparenz im Politikgeschäft ein, noch viel besser als der Wahl-o-Mat, gegründet von Gregor Hackmack und seinem Kompagnon Boris Hekele. Im Vorfeld von Wahlen startet Abgeordnetenwatch das Projekt „Kandidaten Check“ für Transparenz und Interaktion zwischen WählerInnen und Parlamentariern. Seit Anfang April haben die knapp 1.300 Kandidaten ein öffentliches Profil bekommen.

In einer Pressemitteilung vom 22.05. ist davon die Rede, wie Spitzenkandidaten sich gegenüber Fragestellern verhalten. Die Justizministerin Barley ist die fleißigste von allen Spitzenkandidaten. „Von fast 70 an sie gestellten Fragen meldete sie sich bisher bei knapp zwei Dritteln davon zurück„.

Zwischen dem 23. und 26. Juni bewerben sich in Deutschland insgesamt 1.380 Kandidatinnen und Kandidaten um die 96 Parlamentssitze. In Deutschland wird gewöhnlich Sonntags gewählt. Auch im Jahr 2019.

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About Fatima Lacerda

Kultur, Fußball, Musik sind meine Leidenschaften. Reiseberichte sind ein Genuss!

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