Buchvorstellung zur Berlinale: Das Kino INTERNATIONAL

Bei der Besprechung für dieses Booklet* (156 S. ca. 20,- € ) muss ich aufpassen, dass ich verschiedene Ebenen nicht durcheinander bringe:

  1. Das Buch von Dietrich Worbs
  2. Das Gebäude als markantes Ausrufungszeichen der Magistrale
  3. Die Ereignisse rund um dieses Kino

Ich hoffe, Sie folgen mir auf diesem Schlingerkurs ….

Kino International - Buch
Kino International – Buch

1. Zum Buch:

Mit Sicherheit zu empfehlen, Worbs hat gründlich recherchiert und allerlei Quellen zusammengetragen, verfällt auch nicht in irgendeine DDR-Nostalgie – aber man muss zwischen den Zeilen lesen können. Einige technische Fragen hätte ich noch, aber was ist schon perfekt?

2. Zum Kino (-gebäude) von 1964:

Da hat uns die Nostalgie schon eingeholt, im großen Abstand wird der Erinnerung immer einen Weichzeichner vorgeschaltet, so auch bei der Bewertung der Nachkriegsmoderne. Diese Nierentischzeit mit ihren Tütenlampen und Cocktailsesseln war nie so mein Ding, aber nachdem das alles auf dem Sperrmüll gelandet ist, werden die letzten Artefakte gehätschelt. (Kronenleuchter im Bhf. Gesundbrunnen, Verkehrskanzel am Kranzler, Zoo-Palast, Bilka) In Ostberlin kamen bestimmte Entwicklungen immer mit Verspätung an wie auch diese, denn der Zoo-Palast war von 1956, die Interbau hatte 1957 im Hansaviertel die Blockrandbebauung aufgegeben – nun also musste die Stalinallee West (= offizieller Name) ab 1958 auch entsprechend modern werden. Weg vom sozialistischen Klassizismus, der auch irgendwie an Albert Speer erinnerte – hin zur modernen Offenheit.

Bezeichnend, dass die Bauakademie den Entwurf zuerst „unzumutbar“ und das Kino als „Kiste“ empfand. Allerdings war die SED-Bezirksleitung begeistert, und da die Partei immer Recht hat, wurde die Kiste gebaut. „Symmetrie ist die Kunst der Idioten“ sagte mein Kunstlehrer früher, und der Bau ist im Grundriss streng symmetrisch. Was allerdings kaum auffällt, weil ausgerechnet die Glasfront eine Abweichung aufweist. Ist dieser Kontrapunkt nun gewollt oder hängt der nur mit der unterschiedlichen Wortlänge des Kinonamens ( 4 : 13 Buchstaben !) zusammen ? Nachdem man sich 1961 von der halben Welt abgeschottet hatte, musste hier wohl ein bisschen Internationalität her – das war sicher so politisch gewollt (und nicht ästhetisch).

Ford "Badewanne" und die Göttin von Citroen - gab´s beide nicht in der DDR
Ford „Badewanne“ und die Göttin von Citroen – gab´s beide nicht in der DDR

Ausgerechnet der Staat, der sich von der Außenwalt abgeschottet hat, keine Touristen ins Land und keine aus dem Land lassen wollte, beschwörte immer seine Internationalität. Auf dem o.a. Werbefoto werden dann auch prompt zwei Traumautos aus dem Ausland gezeigt, die es für eigene Bürger nie gegeben hätte, weder für Geld noch für gute Worte resp. Beziehungen. Aber das Filmwesen – auch in seiner unterhaltsamen Art – gehört seit Josef Goebbels  fest zum Bestandteil der politischen Propaganda einer Diktatur.

Und da sind wir auch schon in der 3. Ebene der Betrachtung:

Sicherlich haben nicht wenige Berliner dieses Kino in angenehmer Erinnerung, weil sie hier tolle Filme gesehen haben – manche sogar, bevor sie von der Zensur gekippt wurden (Spur der Steine nach 3 Tagen, Die Kommissarin nach 1Woche etc.). Aber das ergeht mir genauso, denn ich gehöre noch zu der Generation, die höchstens 2 x in der Woche einen Film gesehen hat – und nicht sechs am Stück per stream. Noch heute weiß ich von besonders beeindruckenden Filmen genau, in welchem Kino ich sie gesehen habe (z.B. Lohn der Angst, Einer flog übers Kuckucksnest, Zeugin der Anklage, Das Fenster zum Hof usw.)

Und natürlich fehlen mir diese Kinos, weil sie damals noch nicht unter Denkmalsschutz standen : der Gloria-Palast, das Lumina, die Bonbonniere, der Spiegel! Damals (ich bin halt schon etwas älter) war Kino eine Inszenierung !! Man wurde mit einer Taschenlampe auf den Platz geleitet, es gab einen Kurzfilm (zumeist Kulturfilm), dann die Wochenschau und der Hauptfilm wurde mit rauschendem Vorhang und drei mächtigen Gongschlägen dramatisch angekündigt.

Und die Kinos wurden – um dem Fernsehen paroli zu bieten – immer größer : Cinemascope, Cinerama und als ultima ratio das Todd-A-O-Verfahren mit drei Projektoren hießen die Versuche, das Pantoffelkino zu desavouieren. Für alles dies steht auch das International, genau wie der Zoo-Palast, das Royal, das Studio und das I-Max. Teile davon gibt es nicht mehr, das International ist auch aus der Zeit gefallen – und eben eine nostalgische Erinnerung. Zu seiner Zeit wurde es von 28 (!) Werktätigen betrieben, nunmehr müssen 4 Leute reichen und nur mit Filmen ist es dennoch nicht rentabel zu betreiben – da müssen auch noch andere Veranstaltungen herhalten. Möglicherweise wird dazu die Bühne noch mal umgestaltet werden müssen, aber ob da der Denkmalsschutz mitmacht?

Deshalb zur Berlinale: Viel Spaß und angenehme Erinnerungen im International, und noch folgende Bonmots zum Abschluss :

  • Es war das (vermutlich) einzige Kino, in dem scharf geschossen wurde. Der Warnschuss eines Vopos (Tumult) steckte noch jahrelang in der Decke.
  • Wegen Änderungswünschen der politischen Führung ( = Ulbricht) verteuerte sich das Objekt um 150 % (kommt einem bekannt vor)
  • Bei der Einweihung war die Kopie noch feucht, dass sie mehrfach hakte. Der Staatsrat hat getobt
  • Der erste Film mit der Schwulenproblematik im Ostblock hatte seine Premiere ausgerechnet am 9.11.1989 – so ein Pech auch!

* ISBN 978-3-7861-2711-6, im guten Buchhandel oder direkt beim Verlag erhältlich

About Wolfkamp

Uralter Urberliner. Taxifahrer, Eisenbieger, Schneeschipper, Student, Wagenwäscher, Bananenverkäufer, Bauleiter, Ausbilder, Dozent, Hilfsarbeiter, Operator, Systemanalytiker, Autor, Stadtführer, SES-Experte, Seniorenfahrer, Berliner Schnauze, usw. usw. Ich glaub´, ich habe nichts vergessen . . . . . .

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