Berliner Mauerfall – Mein erstes Mal im Westen

Herbst 1989, ich (der Autor dieses Artikels) war zarte 12,5 Jahre alt und wohnte beschaulich in Werder/Havel, einer verträumten Kleinstadt im Havelland, gleich links neben Potsdam. Das neue Schuljahr, hatte schon anders angefangen als sonst, da zwei Mitschüler fehlten, man munkelte das sie auf Irrwegen in den Westen gelangt sind. Was ja auch nicht abwegig war, da die West-Medien voll waren von Meldungen der DDR-Flüchtlingsströme.

Wir, als Schüler spürten schon eine gewisse Unsicherheit im Schulapparat u.a. begann für uns gerade das neue Schulfach „Staatsbürgerkunde“, wo überspitzt gesagt – der Westen mit seinem Kapitalismus und seine Kriegstreiberei verdammt und der Osten hingegen mit seinem Sozialismus in den Himmel gelobt wurde. Es gab einige Widersprüche im System, wir wussten aber auch, das darüber noch nicht so offen gesprochen werden durfte.

Tränenpalast - Foto von der Seite
Tränenpalast – Foto von der Seite

Am 18.10.1989 trat dann Erich Honecker zurück, das war schon eine Zäsur. Im Schlepptau dieses Ereignisses und mit dem Druck der Montagsdemonstrationen öffneten sich die DDR-Medien. Eine Sendung wie die „Die Aktuelle Kamera“ (Pendant zur heutigen „Tagesschau“ und den „Heute“ – Nachrichten), schien auf einmal spannend und realitätsnah. Schließlich gab es am 9.11., ein fast gewöhnlicher Donnerstag, am Abend die legendäre Pressekonferenz mit Günter Schabowski, wo er quasi vorzeitig die uneingeschränkte Reisefreiheit bekannt gab. Meine Familie und ich saßen vor dem Fernseher und verfolgten gespannt die Entwicklungen. Es stand schnell der Entschluss fest, dass wir natürlich auch rüber wollten – nach Berlin-West, aber nur zum Besuch. Schließlich wurden – als erste Handlung – am Folgetag die notwendigen Papiere bei der Polizei besorgt.

Es folgte der 11.11.1989, ein Samstag, für Schüler normalerweise ein Schultag in der DDR. Es ging früh morgens los mit dem Bus nach Potsdam Pirschheide (damals der Hauptbahnhof, wegen der Berliner Mauer). Von dort mit dem Zug, der sich umgangssprachlich Sputnik nannte, nach Berlin-Karlshorst und weiter mit der S-Bahn nach Berlin-Friedrichsstraße. Wir wussten, dass es dort den einzigen regulären Übergang für DDR-Bürger (zu Fuß) nach Berlin-West gab. Was soll man sagen, wir waren nicht die einzigsten, eine riesige Menschentraube stand vor dem sogenannten „Tränenpalast„, die Abfertigungshallte für die Ein- und Ausreise. Nach ungefähr 2 Stunden waren wir drinnen, wurden noch staatsmännisch von den Grenzbeamten beäugt und durften runter in den unteren S-Bahnbereich, ein regulärer Bahnhof und kein sogenannter Geisterbahnhof.

"Tränenpalast" - Foto drinnen, Abfertigungsbereich
„Tränenpalast“ – Foto drinnen, Abfertigungsbereich

Wir kannten nur vom Hören und Sagen den Kurfürstendamm und da wollten wir hin, wenn ich mich recht entsinne ohne gültigen Fahrschein, danach hätte jetzt auch keiner gefragt. Vielleicht fuhr uns ja die S-Bahn dort hin, wir fuhren Richtung Süden und spätestens beim S-Bahnhof Priesterweg dämmerte uns, das wir falsch waren und bald die echten Kühe kommen aber nicht der Kudamm. Also stiegen wir aus und fuhren wieder in den Norden, mit einigen Umstiegen mit der U-Bahn – an übervollen Bahnhöfen – gelangten wir zum legendären Kurfürstendamm.

Da standen wir nun, alles bunt und voller Menschen. Es folgte die nächste Aufgabe, Abholung des Begrüßungsgeldes in Höhe von 100 DM (stand jeden DDR-Bürger einmal pro Jahr zu, welcher damals die Westgebiete besuchte). Die einzelnen Banken, welche von außen sichtbar waren,  waren sogleich gesäumt mit vielen Menschen und so hörten wir aber auch, dass es im KaDeWe eine Bank geben sollte. Also hinein, es war zwar eine Schlange vorhanden (waren wir ja gewöhnt) aber noch relativ überschaubar. Zwischendurch bekamen wir auch noch eine schokoladigen Adventskalender vom Warenhaus geschenkt. Dann kurz die Formalien am Schalter erledigt und dann hatte auch ich 100 DM in der Hand. Welche Träume kann ich mir jetzt damit erfüllen, das waren meine Gedanken zu diesem Zeitpunkt. Ich entschied mich für einen Doppelkassettenrekorder, gleich gegenüber gekauft, beim einem Quelle-Technikcenter. Spontan hielt draußen an der Straße ein Bäckerwagen und verteilte Pfannkuchen (für NichtBerliner: Berliner), schließlich war auch der 11.11. aber das war wohl nicht der Hauptgrund. Alles war so friedlich und ausgelassen, als wenn den Menschen eine riesige Glücksdroge verpasst wurde. Schließlich ging es am Abend – wieder auf dem etwas umständlichen Weg –  zurück nach Hause.

KaDeWe - der goldene Westen
KaDeWe – der goldene Westen zum greifen nah

Am Montag in der Schule erzählten alle von Ihren Erlebnissen im „Westen“ und der oder diejenige hatte das und jenes geschenkt bekommen. Die Schulleitung fand diesen Schulausflug am Samstag gar nicht witzig, u.a. waren manchmal nur ein paar Schüler einer Klasse anwesend und wollten daher den Tag als unentschuldigt eintragen. Das wurde erst so gehandhabt aber nach zwei Wochen wurde ein „entschuldig“ draus, wegen der besonderen Umstände. Berlin-West wurde immer schneller greifbarer für uns, da es u.a. einen eingerichteten Bus-Shuttle von Potsdam gab, welcher nach Spandau oder Wannsee fuhr. Wir nutzten in den kommenden Wochen und Monaten diesen Shuttle, um dann von Wannsee nach Charlottenburg oder Steglitz mit der S-Bahn zu fahren… in diese neue unbekannte Welt.

Weitere Zeitzeugenberichte sind natürlich gern gesehen, lassen Sie uns dran teilhaben, entweder per unten stehender Kommentarfunktion oder Mail an info@inberlin.de mit Betreff „Zeitzeugenbericht 1989/90“. Einen Eindruck der Aufmacher der Tageszeitungen zu dieser Zeit, gibt es hier.

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Komme aus der Provinz und seit 1999 Berliner! Mich interessiert hauptsächlich Geschichtliches und Kreatives aus der spannendsten Metropole Deutschlands.

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One comment

  1. Einsendung 1 (von Hanna S.): Die erste Reise nach West-Berlin

    Ich hatte keine West-Verwandtschaft und für mich war bis zum 9. November 1989 Westdeutschland „Ausland“. Ende November fuhr ich dann mit meinen Kindern nach Westberlin, weil alle Kolleginnen und Kollegen inzwischen schon da waren und davon geschwärmt hatten.

    Es war ein grauer, nebliger Tag. Menschenmassen standen am Bahnsteig unseres Wohnortes und eigentlich wäre ich gern wieder umgekehrt. Aber die Kinder freuten sich schon auf die Reise – also schoben auch wir uns in den überfüllten Zug.

    Wir kamen in der Sonnenallee an und gingen einfach mit der Menge mit bis zur nächsten Bank, um das Begrüßungsgeld abzuholen. Ich war erstaunt. Die Häuser sahen nicht sonderlich anders aus als im Osten. Die Fassaden waren auch recht ramponiert und die kahlen Bäume am Straßenrand machten das Bild nicht bunter. An einer Treppe sahen wir längliche Säcke liegen. Was war das wohl? Plötzlich bewegte sich einer – wir waren sehr erschrocken. Ein Mann krabbelte aus dem Sack. Das war unsere erste Begegnung mit Obdachlosigkeit. Wir waren schockiert.

    Dann aber kamen wir in eine Geschäftsstraße. Hier war also das, was ich aus den vielen Erzählungen schon gehört hatte, zu sehen. Geschäfte mit Schaufenstern, die überquollen. Wir gingen in einen der Läden und meine Kinder suchten sich jeder ein Spielzeug aus. Am nächsten Stand auf dem Gehweg gab es Bananen. Ich kaufte ein Kilo. Man kann ja nicht gleich übertreiben – obwohl hier nirgends eine Schlange stand und auch nicht nach der Personenanzahl in der Familie gefragt wurde. Aber ein Kilo war sicher nicht unverschämt.
    Wir kamen an eine Ecke mit einem hell erleuchteten Kaufhaus. Eine Glastür trennte uns vom Innenraum. Aber wo war nur die Klinke? Ich trat näher, um besser prüfen zu können, warum ich keine sah. Plötzlich taten sich die Türen von alleine auf und ich fiel fast in das Geschäft. Einige Kundinnen standen unweit und schauten mich mitleidig an, während meine Kinder hinter mir kicherten und sich köstlich amüsierten. Wir waren also sofort als Ossis enttarnt. Eine nette Verkäuferin kam zu uns, hielt meinen Kindern einen Bonbon hin und fragte, was wir denn gern kaufen möchten. Es roch nach Parfüm, der riesige Raum war super hell und farbig – ich war völlig überfordert. Also drehte ich mich auf dem Hacken um, schnappte meine Kinder und wir gingen zum Bahnhof, um wieder nach Hause zu fahren.

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