In dieser Buchbesprechung geht es um jüdische Berliner Geschichte. In 29 Kapiteln werden stadtteilbezogen Schauplätze jüdischen Lebens vorgestellt. Dabei geht es nicht nur um die Löschung jüdischer Spuren während der NS-Zeit, sondern um Schauplätze jüdischer Traditionen in Berlin über die letzten Jahrhunderte hinweg bis in die Gegenwart.
Das Buch lädt dazu ein, die zum Teil vergessenen Orte in Gedanken oder im wahren Leben abzuschreiten. Viel ist jedoch nicht mehr da, was die jüdische Vergangenheit bezeugen kann. Das meiste ist durch die großangelegten Säuberungsaktionen der Nazis aus dem Stadtbild verschwunden. Damals wurden jüdische Symbole an Häuserfassaden abgerissen, Inschriften an Häuserwänden überputzt, Straßen umbenannt.
Die einzelnen Artikel des Buches erzählen eine kurze Geschichte des jeweiligen Ortes. Aufgeführt sind Gebäude, in denen früher bedeutende jüdische Institutionen beheimatet waren, Anschriften früherer jüdischer Geschäfte oder großer Kaufhäuser wie z.B. das Wertheim, zwischen 1896-1906 das größte Kaufhaus Europas, Schulen, Krankenhäuser, Kinderheime, Synagogen und Friedhöfe. Aufmerksam gemacht wird auch auf einzelne jüdische Symbole oder Inschriften an Häuserwänden, die der Zerstörungswut der Nazis entkamen. So ist z.B. am Hauseingang der Dircksenstr. 47 noch die verblasste Inschrift „Sally Rosenberg – Galanteriedamenschuhe“ zu finden.
Neben den Anschriften von Geburts- oder Wohnhäusern berühmter jüdischer Persönlichkeiten erfährt man auch einiges über deren Leben und Wirken, so z.B. von Moses Mendelssohn, Max Liebermann, Walter Rathenau, Giacomo Meyerbeer, Lesser Ury oder Magnus Hirschfeld.
Auch Orte von Progromen sind in dem Buch aufgeführt oder Häuser, die Sammellager für Deportationen waren oder in denen Juden gequält und gefoltert wurden, wie z.B. im sog. Columbiahaus, einem „wilden KZ“ am Rand des Tempelhofer Flughafens.
Das Buch erzählt auch vom Depot für die „Aktion Entartete Kunst“ im Victoria-Speicher 1: Zwischen 1937-1939 wurden 16.558 expressionistische, abstrakte oder sozialkritische Werke und Arbeiten jüdischer Künstler durch die Nazis beschlagnahmt. Ausgewählte Stücke wurden bis 1941 in deutschen und österreichischen Städten in einer „Lehr-Ausstellung“ gezeigt, viele Werke jedoch verkauft oder vernichtet.
An die Zeit der Judenverfolgung erinnern zahlreiche Gedenkorte wie z.B. das Kunstwerk zur Erinnerung an eine jüdische Widerstandsgruppe am Berliner Dom, das Denkmal zur Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz, die Topografie des Terrors, der Gedenkort am S-Bahnhof Grunewald oder das Jüdische Museum. Gedenktafeln an Häuserwänden erinnern an Menschen, die Juden halfen oder sie versteckten. Auch wird hier und dort ein Hinweis auf die zahlreichen Stolpersteine in Berlin gegeben.
Leider sind Straßenumbenennungen der Nazis nach dem 2. Weltkrieg zum großen Teil nicht rückgängig gemacht worden, dafür gedenken andere Straßennamen an herausragende Menschen. Die Littenstraße nahe dem Alexanderplatz erinnert an den im KZ Dachau ermordeten Rechtsanwalt Hans Litten, der 1931 sogar einmal Adolf Hitler in den Zeugenstand berief, der daraufhin in einem Verhör seine politischen Absichten darlegen musste. Dann gibt es z.B. den Mendelssohnpark auf dem Gelände des zugeschütteten Schöneberger Hafens am Tempelhofer Ufer, die Heinz-Galinski-Straße oder den Leo-Blech-Platz (Leo Blech war Dirigent und Generalmusikdirektor der Staatsoper unter den Linden).
Neben den Erinnerungen an längst vergangene Tage wird auch über Orte der Gegenwart berichtet, z.B. die Neue Synagoge in der Oranienburger Str. Sie ist mit ihrer goldenen Kuppel das heutige Wahrzeichen jüdischer Traditionen in Berlin.
Alles in allem ist das Buch „Jüdische Orte in Berlin“, herausgegeben von Ulrich Eckhardt und Andreas Nachama, sehr lesenswert. Wer das Buch nicht von vorne bis hinten durchlesen möchte, dem hilft das ausführliche Straßen- und Personenregister bei der gezielten Suche.
Das Buch ist im Nicolai-Verlag erschienen und kostet EUR 19,90. ISBN 3-89479-165-9. Es handelt sich hierbei um die 2. Auflage, die 1. erschein bereits 1996 anlässlich einer gleichnamigen Ausstellung in der Neuen Synagoge.
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