Exkurs über die "Berliner Ruppigkeit"

„Die Berliner sind ja immer so unfreundlich, na und die Taxifahrer erst . . . .“ lautet eine der vielen Klagen, die man von Auswärtigen zu hören bekommt. Einerseits haben sie recht, andererseits gibt es dafür auch ´ne Menge guter Gründe. Und da ich sowohl das eine bin und das andere war (Berliner und Taxifahrer), folgt hier der Versuch einer Erklärung / Entschuldigung / Ausrede /tiefenpsychologischen Analyse (nach Gusto bitte einsetzen).

Historisch gesehen hat schon der olle Goethe den Berliner als „verwegenen Menschenschlag“ bezeichnet, sogar Georg.W.F.Hegel hat schon 1830 ein Zitat der Nachwelt überlassen (s.u.), das ein bisschen an einen Spruch von Oscar Wilde erinnert: Lieber einen Freund verlieren als eine gute Pointe. Die historische Analyse des Berliner Witzes von Th. Hosemann bis A. Glaßbrenner überlasse ich aber gerne den Germanisten, hier nur mal ein kurzer Verweis auf einen älteren Artikel von 1951. Ich will  dagegen versuchen, die neuere Geschichte zu erklären.

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1. Grund : Berlin hat viel gelitten.

Berlin war 45 Jahre lang der Khaiber-Pass zwischen dem Ost- und Westblock, was  politisch, wirtschaftlich und auch mental seine Spuren hinterlassen hat. Bei Personen spricht man da von einem PTBS (posttraumatische Belastungsstörung), bei Städten entlädt sich das scheinbar in einer großen Klappe. Der gesamtdeutsche Reflex, dass die Teilung und die Mauer eben die Strafe für die Verbrechen des NS-Regimes seien, hatte in Berlin als ehemaliger Hauptstadt ein ideales Opfer. Dabei ist der dumpfe Blut- und Boden-Nationalismus eher eine Ausgeburt bayerischer Bierkeller – wo er ja auch tatsächlich hergekommen ist. Berlin ist dann nur aufgrund des Regierungssitzes in die Aufgabe einer Schaltzentrale des Terrors gestoßen worden. Die Berliner haben das in den letzten Kriegsmonaten (da war im Rheinland schon längst Frieden)  bitter bezahlen müssen, nach dem Krieg dann eine Blockade, einen Volksaufstand und ein Berlin-Ultimatum aushalten müssen, jahrelang alle Geheimdienste der Welt beherbergt und mit dem Bau der Mauer fast den Todesstoß bekommen  (während sich z.B. München – trotz seiner Bierkeller –  bereits mit dem Titel der heimlichen Hauptstadt schmückte).  Nur zur Erinnerung: Nach dem 13. August 1961 gab es sogar eine Diskussion, Westberlin komplett in die Lüneburger Heide umzusiedeln. War sicherlich nicht ernst gemeint, aber verunsichern tun einen solche Debatten schon.

Ein Rosinen-"Bomber"
Ein Rosinen-„Bomber“

2. Grund : Berliner waren Jahrzehnte lang Zwitterwesen

Westberliner mussten zwar nicht zur Bundeswehr (Ostberliner mussten anfangs übrigens auch nicht zur NVA!), kamen sich aber sonst vor wie Wesen von einem anderen Stern. Sie hatten einen behelfsmäßigen Personalausweis, der Reisepass wurde nicht überall anerkannt, sie durften nicht den Bundestag wählen, obwohl die Entscheidungen dort auch und besonders immer Berlin betrafen, sie mussten spezielle Grenzübergänge benutzen und brauchten lange Zeit vorher genehmigte Passierscheine, um nach Ostberlin zu kommen (brauchte ein Wessi nicht !). Den Ostberlinern erging es nicht besser : Etliche Jahre gab es an der Außengrenze von Groß-Berlin eine Eingangskontrolle, was den Status der alliieren Oberhoheit betonte. Aufgrund des Militärrechts herrschte in Berlin ein besonderes Waffen- und Luftfahrtgesetz, was theoretisch sogar die noch mögliche Todesstrafe beinhaltete. Je nun, dafür war der Schnaps in Berlin billiger, es gab keine Polizeistunde und Westberliner erhielten die Berlin-Zulage zum Lohn (dafür waren – Gerechtigkeit muss sein – die Gehälter auch deutlich niedriger, zumindest in der Wirtschaft). Diese kleinen Vergünstigungen für Westberliner wurde dann auch als Zitterprämie bezeichnet. Ostberliner dagegen hatten das Gefühl, auf dem Mond oder sonstwo zu leben, denn die Stadtpläne der Hauptstadt der DDR hatten immer riesige weiße Flächen ohne Erklärung zu bieten.OLYMPUS DIGITAL CAMERA

3. Grund : Die Wiedervereinigung hat von Berlin weitere Opfer verlangt

Ich rede jetzt nicht vom Chaos der Zeit 1989/90, da waren einige grenznahe Städte der BRD auch an die „Grenzen“ ihrer Belastbarkeit gestoßen (Begrüßungsgeld, Einkäufe, PKW-Verkäufe, Währungsschiebereien). Nein, die ganzen 90er Jahre waren ein Desaster : Ruckartig fielen alle Vergünstigungen weg, ohne dass es eine  „Ausgleichsmaßnahme“ gab. Parallel zum Wegfall der Mietpreisbindung in Westberlin (1988) wurden auch ab 1990 die Mieten in Ostberlin dramatisch angehoben, während tausende von Arbeitsplätzen (in Ost und West) wegbrachen. Wovon sollten die Berliner dann eigentlich die Mieten bezahlen ? Hinzukam, dass die Bonner Regierungsmannschaft sich verzählt hatte: Es gab statt fünf neuer Bundesländer („Neufünfland)“ eigentlich deren sechs, denn Ostberlin konnte ja wohl nicht allen Ernstes von Westberlin allein saniert werden. Diese Erkenntnis benötigte einige Zeit, die dem Westberliner Senat viel Geduld abverlangte.

4. Grund : Der Hauptstadtbeschluss

Der Beschluss, Berlin wieder zur Hauptstadt Deutschlands zu machen, war zwar ein wichtiger symbolischer Akt, hat aber die Lage des normalen Bürgers nicht wirklich verbessert, eher im Gegenteil :  der Senat ringt noch immer mit dem Bund darum, welche zusätzlichen Kosten von Berlin oder vom gesamten Bund übernommen werden. Dieses Geld fehlt wiederum der Normalbevölkerung. Stattdessen drängte das dicke private Geld nach Berlin, in einigen Bezirken hat sich fast die gesamte Bevölkerung ausgetauscht – Gentrifizierung heißt das wohl auf neudeutsch. Die gescheiterte Olympiabewerbung, die gescheiterte Abstimmung über die Fusion mit Brandenburg und die Abstimmung über das Ufer der Media-Spree haben dann eindeutig das Ende der Geduld markiert.

5. Grund : Das ist noch nicht das Ende !

Hier darf noch spekuliert werden ! (Spreelage !)
Hier darf noch spekuliert werden ! (Spreelage !)

Berlin boomt und ist in aller Munde. Die Touristenzahlen steigen jährlich um satte Quoten, die Medien sind ganz verliebt in Berlin – toll, sollte man denken ! Alle Erstbesucher Berlins sind von der Weiträumigkeit Berlins begeistert, aber man wird den Eindruck nicht los, dass ein Löwenanteil der Touristen Grundstückseinkäufer auf der Suche nach einer Anlage sind  😉 , eine Nebenform des berüchtigten Land Grabbings.  Bei den miesen Zinsen auf Sparkonten ist es nur natürlich, dass sich die Millionäre Südeuropas den riesigen Brachen in Berlin zuwenden, die bringen allemale eine höhere Rendite, selbst wenn sie jahrelang leer stehen. Das Bezirksamt Treptow hat jetzt (erstmalig !) selbständig eine Bausicherungsmaßnahme auf Kosten des Besitzers eingeleitet, weil dieser eine Immobilie vergammeln lässt. „Davon wüsste ich aber noch mehr“, möchte man dem lieben Senat zurufen.

Aber auch wenn gebaut wird, wird mit Sicherheit wieder ein Hotel daraus – der Boom neigt zur Selbstüberschätzung.  Außerdem – das ist aber meine persönliche Meinung – ist Tourismus eine sehr anfällige Branche (Ägypten lässt grüßen), denn irgendwann stürzt sich „die Schar kreischender Möwen auf ein anderes Stück hingeworfener Pizza“ (dieser Vergleich stammt von einem Soziologen, der das Partyverhalten von Yuppies beschrieb).

Fazit : Berliner sind Einiges gewöhnt – wollen das aber wenigstens kommentieren.

Gemessen an den 60 Jahren voller Druck- und Zugversuche an der Berliner Psyche sind die Eigentümer derselben ja eigentlich noch gut drauf – finde ich.  „Berlin ist niemals fertig, sondern immer im Werden“, sagte man schon 1920, das gilt erst recht für die letzten  Jahre. Und mit Sicherheit für die nächsten Jahre.

Die eine oder andere Patzigkeit ist schlicht und ergreifend nur das Wort gewordene Knarren im Gebälk der strapazierten Seele der sogenannten „Hauptstädter“. Insofern, liebe Besucher und Neuberliner, habt ein bisschen Verständnis für den Busfahrer, der auf die Frage : „Ich würde gerne zum Reichstag !“ üblicherweise wie folgt antwortet : „Ha´íck nüscht dajejen.“ Das ist nicht etwas frech, sondern sehr großmütig. Die heimliche Hauptstadthymne ist ja nicht die „Berliner Luft“ (das ist die offizielle), sondern die Erkennungsmelodie des ehemaligen  RIAS-Kabaretts Der Insulaner, in der es heißt:

„Der Insulaner verliert die Ruhe nicht, der Insulaner liebt keen Getue nicht ! “

Das lässt hoffen. Also:

berl. Rupp 21

 

About Wolfkamp

Uralter Urberliner. Taxifahrer, Eisenbieger, Schneeschipper, Student, Wagenwäscher, Bananenverkäufer, Bauleiter, Ausbilder, Dozent, Hilfsarbeiter, Operator, Systemanalytiker, Autor, Stadtführer, SES-Experte, Seniorenfahrer, Berliner Schnauze, usw. usw. Ich glaub´, ich habe nichts vergessen . . . . . .

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6 comments

  1. Bin nur ein Tourist.. 🙂 Berlin ist eine interessante Stadt geworden. So vielfältig und gegensätzlich zugleich. Ich hoffe es bleibt so eine charmante Stadt.

  2. Lisa , Dani & Alex

    Da den Bayern der Charme eines Vorschlaghammers nachgesagt wird, freuen wir uns bereits jetzt auf die Konstellation die uns im März erwartet 😉 Wir wissen ja aus eigener Einschätzung, dass bellende Hunde eher selten beissen. 🙂

    • Also das mit dem Vorschlaghammer ist mir neu + habe ich auch nicht so wahrgenommen. Möglicherweise, weil ich nicht immer alles verstanden habe !??! Als Liebhaber dunklen Bayrischen Bieres (bes. des Kulmbachers) waren Dissonanzen immer nach 1- 2 Maß restlos beseitigt. Und in Berlin gibt es nunmehr auch ein einige Sorten Schwarzbier – die helfen eigentlich immer gegen die „Ruppigkeit“.

  3. Gudrun Schmidt

    Die „echte“ Berliner Ruppigkeit scheint mir im Artikel von 1951 treffender beschrieben. Sie erfordert eigentlich keinen „Versuch einer Erklärung / Entschuldigung / Ausrede /tiefenpsychologischen Analyse (nach Gusto bitte einsetzen).“ aus heutiger Sicht. Der Berliner ist nicht „so“, weil alles das zutreffen mag, was Herr Wolfkamp als vermeintliche Erklärung liefert. Denn diese /ähnliche Gründe für und auch die Ruppigkeit (in Form von Unfreundlichkeit) gibt es an jedem Ort der Republik. Der Berliner ist „so“, weil er so aufgewachsen, so „erzogen“ wurde, solche Vorbilder hatte – und weil es keinen Grund gab (gibt?), sich gerade an diesem Punkt zu ändern – was der Zeitungs-Artikel und die einleitenden Hinweise auf Goethe und Hegel gut belegen. Es war und ist nicht die schlechteste Art, das manchmal schwierige Leben zu „ertragen“, sich zu wehren, sich zu streiten usw. Warum also daran etwas ändern? Herr Wolfkamp liefert also aus meiner Sicht allenfalls Argumente, eine bewährte Strategie in den Schwierigkeiten der Nachkriegszeit bis heute beizubehalten, aber keine Gründe für diese Lebens- bzw. Kommunikationsart, die offensichtlich weit früher „entstand“. Herauszufinden, warum und wie es dazu kam, könnte interessant, aber letztlich auch müßig sein. Warum sind die Schwaben so schwäbisch, die Ostfriesen so ostfriesisch, die Hamburger so hanseatisch, die Westfalen so stur, die Rheinländer so lustig?
    Als gebürtige Berlinerin habe ich sowohl Herrn Wolfskamps Text als auch den Zeitungsartikel (und einiges mehr auf diesen Seiten) mit großem Interesse gelesen, auch wenn ich gerade beschrieb, warum ich „diese“ Argumente nicht sehr erklärend finde. Übrigens auch, weil sie auf die vielen Zugezogenen der letzten Jahrzehnte auch zuträfen, die sich aber gerade das Typische der Berliner Ruppigkeit kaum „aneignen“ können (und wollen).

    • Liebe Gudrun,

      leider finde ich Deinen Kommentar auch nicht „sehr erklärend“ (=der Berliner ist so ….erzogen ??)
      Und zwischen 1951 (dem besagten Zeitungsratikel) und 1990 (sprich : Wiedervereinigung und Hauptstadtbeschluss) ist in und um Berlin so Einiges passiert, was die Mentalität eines Berliners auch beeinflusst haben könnte.
      Nun denn : Im Zuge auch der verbalen Globalisierung wird sich das sicher alles abschleifen, und in 50 Jahren wird es keine „typischen“ Berliner mehr geben.
      Das können wir nun begrüßen oder beweinen, kommte aufs Gleiche hinaus = lässt sich nicht ändern.
      Sach´ icke als oller Knallkopp !

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