Berlinale 2021 Summer Special ist Geschichte

Ein Gefühl der Erleichterung ging durch die ganze Stadt als die Berlinale von den Organisator*innen in der Präsenz bestätigt wurde. Das Signal an die Kultur- und Filmbranche war richtig und traf ein perfektes Timing. Berlin wurde in der selben Woche des Beginns des Festivals für Touristen geöffnet. Ein Hauch von Normalität kehrte wieder ein, nach einem nicht mehr endenden Lockdown.

Die Berlinale, ausnahmsweise bei 37 Grad (der bisher heisseste Tag des Jahres) wird mehrfach in die Geschichte eingehen, nicht „nur“ weil das Festival sein Publikum endlich wieder fand, sondern auch Merkmale aufweist, die mit der Winter-Berlinale nichts gemein hat.

Der brasilianische Regisseur Luiz Bolognesi, der zum dritten Mal den langen Weg hierher fand und auch den begehrten und prestigereichen Panorama Publikumspreis mit seinem Film „The Last Forest“ abräumte, stand an jenem Abend im Freilichtkino Hasenheide bei 37 Grad und fühlte sich an den Drehort seines Filmes (Amazonasgebiet) erinnert: „Ich bin sonst im Winter bei der Berlinale. Ich merke, es sind zwei unterschiedliche Städte„.

Michale Stütz (Sektion Panorama)/Luiz Bolognesi/Lutz Elstermann (Radio Eins) / (Foto: Brigitte Dummer)
Michale Stütz (Sektion Panorama)/Luiz Bolognesi/Lutz Elstermann (Radio Eins) / (Foto: Brigitte Dummer)

Die Berlinale im Sommer gab es, erheblich verschlankt, schon immer. In den Freiluftkinos werden dem Publikum während der Kinosaison auf der Berlinale prämierte Filme gezeigt. Auch das Kinoerlebnis kann saisonbedingt sehr unterschiedlich sein. Während im Sommer, die Unternehmung eher von Leichtigkeit, Laissez-faire und von der Sehnsucht geprägt ist, Sehen und Gesehen werden und Ablenkung nicht weiter stört, so ist im Winter ausschließlich die Filmkunst das Augenmerk. Ohne Nebengeräusche.

Zu wenig Atmosphäre

Als Journalistin hatte ich bei der Sommer Special keine guten Karten. Das Festival hatte das Publikum priorisiert. Verständlich. ABER. 

Es dauerte 4 Tage bis mir zum ersten Mal Zugang zum Freilichtkino auf der Museumsinsel gewährt wurde und somit auch mein erstes Berlinale-Erlebnis hatte. Voller Vorfreude, die „andere“ Berlinale zu erleben und dies in meinen Texten weitergeben zu können, bin ich sehr schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgerudert worden. Für die Kino-Besessenen, die sich ausschließlich auf das Werk konzentrieren wollten, war diese Berlinale kein Genuss. „Una película de polícias! enttäuschte gänzlich und ließ bei mir Verwunderung aufkommen, wie er einen Preis für die Beste Künstlerische Leitung überhaupt bekommen konnte. Dazu kam an jenem Samstagabend die Horrorvision einer Besucherin schräg links vor mir, die einen Döner Kebab XXL vorm Gesicht hielt und ihn tatsächlich während des Films verpeiste.

Mehreren Horrorszenarien, die vom wesentlichen ablenken, habe ich zusehen müssen. Auch in der Freilichtkino Hasenheide, am 19.06., ein glühender Tag, zündete eine Person neben mir eine Zigarette an. Vor mit saß wiederum einer, der minütlich seine Hand hochnahm und mit seinem Handy Bilder von der Leinwand machte. Weit und breit keine Security oder Kinomitarbeiter*in, um einen offensichtlichen Verstoß zu unterbinden.

Ganz anders auf der Museumsinsel

Beim Freilichtkino auf der Museumsinsel konnte kein Mensch einen Schritt machen, ohne dass eine Hostess direkt auf die Pelle rückte. Trotz der pandemibedingten Einschränkungen hätte es eine Verhältnismäßigkeit geben müssen, vor allem aber ein Augenmerk dafür, dass es um einen Festivalbesuch geht, welcher positiv in Erinnerung bleiben sollte. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass die Stimmung insgesamt sehr gedrückt war. Eine Ausnahme: Die Vorstellung des Regiedebüts von Daniel Brühl (43).

Daniel im siebten Himmel

Das einzige Mal, als ein wenig Festivalstimmung aufkam, auf die Spitze getrieben, als der Schauspieler und frischgetaufte Regisseur zeigte sich bereits auf dem roten Teppich, elektrisiert. Auf der Bühne bezeichnete er seinen Zustand als „emotional“ und“ergriffen“, weil so viele Menschen dorthin gegangen sind, um seinen Film zu sehen. Als er dann lüftete, er habe Geburtstag, ging ein zufriedenes „Ahhhhhhhh“ durch das Publikum. Aus den Händen vom Festivaldirektor, bekam er ein Geschenk, wie es sich gehört. Was in der Packung drin war, blieb dem Publikum ein Geheimnis.

@ Reiner Bajo
@ Reiner Bajo

Kneipen Kammerspiel de Luxe

„Nebenan“ war die beste Überraschung des Wettbewerbs. Daniel Brühl besitzt eine Aura, die gänzlich konterkariert was die Crème de La Crème der Schauspierl*innen in Deutschland ist. Während andere Kolleg*innen unter einem immensen Leistungsdruck leiden, der bis zum existenziellen geht, braucht der in Barcelona Geborene, niemanden etwas zu beweisen. Der Mann kann absolut überzeugend in 4 Sprachen seiner Berufung nachgehen. Eine Aura des Understatement und aus deutscher Sicht betrachtet, die außergewöhnliche Fähigkeit über sich zu lachen oder sich auf die Schippe zu nehmen, macht den Kölner unwiderstehlich. Ob es im Gespräch mit der Oxford Union („Als Deutscher Schauspieler musst Du irgendwann den Soldaten spielen“), bei Verleihungen oder als Jury-Mitglied der Berlinale (2015) ist, lässt er sich nicht in eine Schublade stecken. Nebenan“ ist überragend besetzt mit Hilfe der prestigereichen Casting Agentur Simone Bär. Rike Eckermann, die die Kneipenwirtin verkörpert, ist bezaubernd! Sie fungiert als Vermittlerin zwischen den Welten und Abgründen, eine Botschafterin für Berliner Toleranz und ein Garant für den Berliner Humor: Wenn Daniel, der ehrgeizige Schauspieler die Kneipe betritt, öffnet sie lapidar „das Feuer“: „Wenn da nicht Mr. Tom Cruise ist“. 

Nebenan„, der am 15.07. in die deutschen Kinos geht, macht süchtig und das Debüt gelingt bravouös.

Der Bezirk Prenzlauer Berg fungiert als Zentrum der Gentrifizierung und alles was daraus resultiert. Aber auch wenn diese Linie bei der Promotionarbeit des Films als Zugpferd hervorsticht, so ist die Diskrepanz, also die Abgründe zwischen der Sozialisierung im Osten und im Westen der Hauptplot dieses Werks. Ur-Berliner Peter Kurth ist  in der Rolle des Bruno überragend umso unverständlicher, dass ihm kein Silberner Bär ausgehändigt wurde. Die Chemie zwischen den beiden Protagonisten ist, von Anfang an, eine Augenweide.

Die Set Dekoration erzählt, augenzwinkernd, die Berliner Kneipengeschichte Ost und West. Detail-Fetischist*innen werden ihre Freude haben. Was als oberflächliche Handlung beginnt mit einem eitlen Schauspieler auf den Weg ganz nach oben, nimmt eine düstere und abgründige Wendung, gerade im unüberbrückbaren Antagonismus zwischen beider Biografien aus Ost und West. 

In einer verschlankten Berlinale mit 15 Beiträgen im Rennen um die Bären und gerade mal 16 Langspielfilme bei der Sektion Panorama täuscht nicht darüber hinweg, dass die Auswahl eine vom ehemaligen Direktor Dieter Kosslick als ein Credo gelten ließ, nämlich die Rote Linie (ein Thema, welches in unterschiedlichen Nuancen und Narrativen sich über alle Sektionen hinweg finden ließ) fehlt bei der Berlinale 2021, gänzlich. Auch die Filmformate, Netflix-Like, hätten, aus meiner Sicht, im Wettbewerb nichts zu suchen, sondern wären bei der Sektion „Berlinale Series“ bestens aufgehoben.

Foto: Madonnen Film
Foto: Madonnen Film

Herr Bachmann der Herzen

Auch wenn bei der Ausgabe 2021 vieles falsch lief, vieles nicht am Platz war, so behält die Berlinale doch ihre Essenz, nämlich ein politisches Festival, welches das Signal an die Welt setzt. Das gilt für die vor der Exterminierung bedrohten Indigener in Brasilien oder aber für die soziale Ungleichheit von Chancen, die auf der Bildungsebene bestehen können und dies auch in einem kleinen Kaff. Herr Bachmann ist ein Lehrer für Schüler*innen aus dem hessischen Landkreis Marburg-Biedenkopf. Sie sind geprägt von Migration, Flucht, viel Schmerz und Zweifel über das, was die Zukunft bringt. In einer Ganzzeitschule versucht der engagierte Lehrer, die Defizite auszugleichen.

Regisseurin Maria Speith, bekannt für Langzeitbeobachtungen, gewann den Silbernen Bären für den besten Dokumentarfilm und dieser, ja, ist ein Must See. Das sieht das Berlinale-Publikum offenbar auch so. Der Film gewann den Publikums Preis des Wettbewerbs, der gerade  für die Ausgabe 2021 ins Leben gerufen wurde.

Herr Bachmann zeigte vor Ort Spontaneität und Lebensfreude. Als ich dort ankam, hatte er bereits eine Gitarre unter dem Arm und sang „Imagine“ und knüpfte gleich „Knockin‘ on Heaven’s Door“ an.

Das anwesende Publikum reagierte sehr schnell mit den Selfies. Beim Singen wollte jedoch keiner, trotz mehrfacher Aufforderung, gerade beim Refrain, mitmachen. So blieb Herr Bachman als ein einsamer Sänger mit seiner Gitarre. Während dessen unterhielt sich das Publikum rege, holte Bier-Nachschub, legte die extra in einer großen Berlinale-Tasche aus Jutte mitgebrachten Sitzkissen zu recht (um es sich gemütlich zu machen) oder aber holte das gekochte Ei aus der Tupperware und fing an, es zu pellen. Dies alles, bevor der Film begann. 


Die Berlinale Summer Special war aus der Not entstanden. Trotz Enttäuschung über die Filmwahl und Frustration über die, teilweise unverhältnismäßige Einschränkungsmaßnahmen, die das ohnehin magere Kinoerlebnis schmälerte, so ist sie jetzt auch Geschichte, die wir in Zahlen, Revue passieren lassen. In der Pressemitteilung vom 22.06. heißt es:

„6 Spielstätten in ganz Berlin wurden in 193 Vorführungen 126 Filme der diesjährigen Filmauswahl gezeigt. 60.410 Tickets wurden verkauft, damit lag die Gesamtauslastung bei 92,16 Prozent.330 Gäste der Filmcrews aus dem In- und Ausland fanden, trotz Pandemie, den Weg nach Berlin“. 

Noch nie habe ich dem Aufkommen des Winters so positiv entgegen gesehen, wenn es dann wieder heißt, Vorhang auf, Türen öffnen für den grenzenlosen Genuss der Filmkunst, die Berlinale 2022.

About Fatima Lacerda

Kultur, Fußball, Musik sind meine Leidenschaften. Reiseberichte sind ein Genuss!

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