Wer sich auf der Greifswalder Straße aus dem Zentrum Berlins nach Weißensee begibt, der sollte sich einmal die Zeit nehmen, um an der Lehderstraße links abzubiegen. Gerade noch auf der trubeligen Hauptstraße, findet er sich im Nu in eine andere Zeit zurückversetzt. In der Lehderstraße wird Industriegeschichte erlebbar.
1898 begann der Industrielle Carl Ruthenberg den Bau einer Goldleistenfabrik zwischen dem damaligen Dorf Weißensee und Berlin. Schon ein Jahr später produzierte er hier Gold-, Politur-, Fancy- und Alhambra-Leisten mit rund 180 Mitarbeitern. Zu den Ruthenbergschen Fabrikanlagen gehörte neben der herausragenden Goldleistenfabrik ein ganzes Ensemble an Höfen zwischen der Langhansstraße und der Lehderstraße, und Behaimstraße und der Roelckestraße.
Berlin wuchs und wuchs, aber die Gebäudeensemble in der Lehderstraße blieben. Drumherum wurden Wohnhäuser erbaut, ein Großteil der Gewerbehöfe besteht heute noch. Sie sind gut sichtbar, denn es handelt sich um flache Fabrikgebäude, die sich jeweils in einer U-Formation um einen Hof gruppieren. Zur Straße liegen die backsteinernen Gebäude mit großen Toren, die die einheitliche Gestaltung des Straßenzuges bestimmen. Seit 1994 steht das Industrieensemble unter Denkmalschutz.
In der Goldleistenfabrik entstehen Berliner Souvenirs
Heute sind in der Goldleistenfabrik Künstler, Verlage, Medienschaffende und andere Kreative ansässig. Hier findet man auch die Werkstätten von Blumenfisch. In den Weißenseer Werkstätten des vielseitigen Unternehmens entstehen kleine und große Kunstwerke aus den verschiedensten Materialien.
Blumenfisch gehört dem VIA Unternehmensverbund an. Dieser unterstützt Menschen mit Einschränkungen und mit seelischen Beeinträchtigungen in vielerlei Hinsicht. Unter anderem bietet er mit den Blumenfisch-Werkstätten in Weißensee und anderen Berliner Stadtteilen Menschen mit Handicap in der ehemaligen Goldleistenfabrik die Möglichkeit, kreativ, handwerklich oder auch digital zu arbeiten. In den Weißenseer Werkstätten werden von mehr als 200 MitarbeiterInnen Produkte hergestellt, die später im Online-Shop oder dem Laden in der Schönhauser Allee gekauft werden können. Von Schlüsselanhängern, Tassen, Geschirr, minimalistischen Eierbechern, Taschen, Notizbüchern bis hin zu Souvenirs für Berlin-Besucher ist das Spektrum enorm. Gleich nebenan entstehen in der Blumenfisch-Tischlerei hochwertige Möbel, Bühnenplastiken und in der Schlosserei Metallerzeugnisse. Zu den Tagen der offenen Tür erhalten Besucher die Möglichkeit, die Werkstätten zu besichtigen.
Bildhauer und Fotografen beleben den Steinmetzhof
Ein Stück weiter in der Lehderstraße befindet sich der Steinmetzhof. Auch er gehört zum Ensemble der Industriearchitektur. Der Gewerbehof aus dem Jahr 1904 wurde früher von einem Steinmetzwerkstatt genutzt – der Name ist geblieben, die Handwerker auch.
In den kleinen Werkstätten finden sich heute vor allem Bildhauer und Fotografen. Darunter Jannette Kneisel, die sich hier als Familienfotografin ein helles und modernes Studio eingerichtet hat. Zu speziellen Anlässen wie dem Atelierwochenende „ArtSpring“ oder dem Gallery Weekend Berlin öffnet sie die Türen für jedermann, stellt Bilder aus und macht mit ihren Kollegen den wunderschönen, grünen Innenhof zu einem geselligen Ort.
Ein besonderes Highlight des Hofes ist die alte Steinmetzwerkstatt: Die ist noch immer originalgetreu eingerichtet, alte Maschinen und Transmissionen geben dem großen Raum das besondere Flair der Jahrhundertwende. Heute wird hier aber kein Stein mehr bearbeitet, sondern gefeiert. Der Raum kann für Hochzeiten, Feste oder die Betriebsfeier angemietet werden. Hin und wieder nutzen auch Filmemacher den Steinmetzhof.
Handwerk mit Maß: Kunst gießen und Leder formen
Unweit der Lehderstraße finden sich wiederum Bildhauer, denen es Weißensee anscheinend angetan hat. In der Kunstgießerei Flierl arbeiten sie mit Ziseleuren, Patineuren und Restauratoren Hand in Hand, um Plastiken in Bronze oder auch Aluminium zu gießen.
Gegründet wurde die Gießerei 1992 von dem Bildhauer und Kunstgießer Marco Flierl. Heute sind hier Anke Schirlitz und Rico Rensmeyer die richtigen Ansprechpartner. Am liebsten arbeiten sie gemeinsam mit ihren Kunden zusammen, entwickeln die Ideen und tüfteln an der erfolgreichen Umsetzung. Auch Künstler können die Werkstätten nutzen, um ihre Ideen in die Tat umzusetzen.
Auf der anderen Seite der Berliner Allee, der Lebensader Weißensees, liegt etwas versteckt der Laden und die Werkstatt von Stefan Jost-Matzdorf. Unter seinem Label „Matzmate“ entstehen hier schöne und nützliche Dinge aus Leder. Darunter befinden sich Geldbörsen, Taschen und Accessoires wie Smartphone-Hüllen und Schlüsselbänder. Besonders interessant sind die hochwertigen und langlebigen Trage- und Umhängetaschen, in denen robustes Leder mit Segeltuch zusammenfinden. Gelernt hat der gebürtige Berliner sein gestalterisches Handwerk an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle an der Saale, die Lederverarbeitung erlernte er ganz praktisch in der Maßschuhmacherei MEIER UND SCHÖPF in Kreuzberg. Vom Schuh kam er auch Accessoires und praktische Lebenshelfer, was eine gute Entscheidung war. Im schönen Komponistenviertel produziert er alle seine Produkte allein und in klassischer Handarbeit, so dass jedes Stück ein Unikat ist. Das liegt den Weißenseern irgendwie im Blut.
Neugierig geworden? Alle Adressen, Öffnungszeiten und mehr finden sich im Weißenseer Kiezplan für Entdecker 2018/19. In dem Online-Plan gibt es noch viel mehr Orte, Menschen und Initiativen in Weißensee zu entdecken, einfach mal hereinschauen: aber-hallo-weissensee.de.
Viel Spaß beim Entdecken!
Das ist ein handwerklich wirklich sehr interessanter Betrieb! Ich bin begeistert was alles möglich ist. Ich wünsche noch viel Erfolg und hoffe, dass das ganze noch bekannter wird. Wäre auf jeden Fall verdient.
Liebe Grüße