Weithin sichtbar – – – trotzdem ein Geheimtipp!

Die Rede ist vom Funkturm (am Ende der AVUS / im Messegelände / am Busbahnhof, auch ZOB genannt / am Haus des Rundfunks / am ICC ) und seinem Restaurant. Über 50 Jahre lang war er das höchste Gebäude Berlins, und man musste sich damals für eine Auffahrt regelrecht anstellen – heute herrscht am Kassenhäuschen gepflegte Langeweile. Dieser Beitrag wird das hoffentlich ändern ! Ganz abgesehen davon, dass der Funkturm für die Westberliner immer das (einzig wahre) Wahrzeichen Berlins war – (wenn man den Funkturm sah, war man endlich wieder zu Hause !) – atmet hier fast jede einzelne Niete Geschichte vom Feinsten, da muss ich mich schon ziemlich kurz fassen, um keinen Roman zu schreiben :

Besonderheiten des Funkturms

Eröffnet in den 20er Jahren als Mittelwellensendeturm wurde er durchaus nach dem Vorbild des Eiffelturms mit einem Zwischengeschoss für Restauration versehen. Klar ist er bei Weitem nicht so hoch wie sein Vorbild (ca. nur die Hälfte), wirkt aber filigraner und ist eben auch nur 1/16. so schwer, was aber womöglich auch durch wirtschaftliche Nöte dieser Jahre diktiert wurde. Immerhin hat man beim Bau den Zeitplan eingehalten und den Kostenplan nur um ca. 10 % überzogen (davon können heutige Projekte nur träumen !). Der Standort Witzleben wurde durch zwei Faktoren bestimmt : durch die Höhenlage und durch das Messegelände, auf dem seit 1924 regelmäßig die Funkausstellung stattfand. Eine dieser Messehallen wäre dem Funkturm auch fast zum Verhängnis geworden, denn die Hallen hatten damals (um drinnen einen Empfang zu gewährleisten) Holzdächer, wovon sich 1935 eines in Brand setzte und durch seine Flammen sogar das Restaurantgeschoss beschädigte. Aber das befürchtete Schmelzen des Stahls unterblieb, auch einige leichte Kriegsbeschädigungen hat der Funkturm gut überstanden. Er wurde dann auch gleich im „Kalten Krieg“ mit einer Sonderaufgabe betreut : Während der Berliner Blockade hatte er auf seiner Spitze eine 60 km weit sichtbare Leuchturmaufgabe mittels rotierender Scheinwerfer.

Der Architekt des Funkturms Heinrich Straumer gilt es einer der „gemäßigten Modernen“ und das (nunmehr restaurierte) Restaurant wurde von den Wiener Werkstätten ausgestaltet. Dieses Zwischengeschoss hatte damals sogar schon eine Art Klima-Anlage. Auch der Aufzug war eine Pionierleistung, zusätzlich hat der Funkturm sogar Nottreppen, was Einige beruhigen wird. Zwar wurde hier zwar nicht die erste Hörfunksendung ausgestrahlt (das war in Königs Wusterhausen), aber immerhin die erste Fernsehübertragung der Welt, so um 1929 (nur Testbild !), zur Olympiade 1936 dann regulär. Weniger rühmlich war dann die Geschichte des Großdeutschen Rundfunks, in dem Josef Goebbels seine Durchhalteparolen in das Mikrophon bellte. Das   unmittelbar am Fuße liegende „Haus des Rundfunks“ ist eben auch so ein Geschichtsort der besonderen Art. Nach Goebbels kam hier sogar Eduard von Schnitzler („der Schwarze Kanal“) zu Wort, bis im Jahr 1952 die Briten dem Berliner Rundfunk den Saft abdrehten.

Im Restaurant auf 52 m Höhe hat man eine grandiose Aussicht auf diesen Berliner Knotenpunkt, man sieht besagtes „Haus des Rundfunks“, sieht die AVUS (die erste Autobahn der Welt!) und den Grundriss der ehemaligen Nordkurve, sieht die Radarstation der US-Streitkräfte auf dem Teufelsberg, sollte dann aber auch wissen, dass diese künstliche Anhöhe aus dem Trümmerschutt des II. WK entstanden ist.  Man erkennt den Berliner S-Bahn-Ring und ahnt, dass ohne diesen der Berliner Stadtautobahnring wohl nie zustande gekommen wäre und bei gutem Wetter kann man bis zum Schäferberg in Wannsee oder bis zu den Müggelbergen sehen. Und das alles, ohne sich Wochen vorher in eine Warteliste eintragen zu müssen, wo allein schon die Inneneinrichtung des Restaurants fast ein Museumsbesuch ist.

Deshalb finde ich es schade, dass die Besucherzahlen auf rund 1/3 der ursprünglichen Frequenz zurückgegangen sind – aber sonst wäre es ja auch kein Geheimtipp mehr!

Nota bene:

  • Warum die Füße isoliert sein mussten, nunmehr aber geerdet sind, entzieht sich meiner Kenntnis.
  • An der Kreuzung Messedamm/Masurenallee gibt es keine Fußgängerampeln, dafür riesige Untertunnelungen (im Winter das Revier der Skater)
  • Der Lift ist nunmehr voll verglast und sehr schnell – nicht schwindelfreie sollten die Augen schließen
  • Der schöne Name Witzleben stirbt leider aus, nachdem der Bahnhof umbenannt wurde in Messe-Nord.
  • Ebenfalls vom Aussterben bedroht : Der alte Spitzname „langer Lulatsch“ (vermutlich, weil der Telespargel (alias St. Walter ) eben deutlich länger ist
  • Im August stehen regelmäßig Wartungsarbeiten an – bitte vorher informieren

About Wolfkamp

Uralter Urberliner. Taxifahrer, Eisenbieger, Schneeschipper, Student, Wagenwäscher, Bananenverkäufer, Bauleiter, Ausbilder, Dozent, Hilfsarbeiter, Operator, Systemanalytiker, Autor, Stadtführer, SES-Experte, Seniorenfahrer, Berliner Schnauze, usw. usw. Ich glaub´, ich habe nichts vergessen . . . . . .

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3 comments

  1. wunderbare Anregung für einen Besuch nach 30 Jahren Abstinenz. Werde meine Ehefrau gleich nehmen.

  2. Klaus Hewelt

    Hallo Wolfram
    Dein Artikel hat mir sehr gefallen. Vor der Wende haben wir alle Besucher mit auf den Funkturm geschleppt. Alle, ob Wessis oder Aussis waren von Ihm und Berlin begeistert. Aus dem Urlaub kommend und den Funkturm sehend, hat man durchgeatmet, ob der unseligen Kontrollen der Zonenbehoerden (Arbeiter und Bauernstaat), man war wieder zu Hause.
    Berlin ist immer noch Sexy, trotz der schlechten Strassen und der grossen Armut Berlins.

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