Versteckte Welt in Spindlersfeld

Alle diskutieren über die Bebauung der Tempelhofer Freiheit, als ob wir nicht auch andere Brachen hätten, die es zu gestalten gilt. Hier will ich mal einen etwas unbekannteren Bezirk vorstellen – auch auf die Gefahr hin, dass ich unbezahlte Werbung für ein Großprojekt mache. Spindlersfeld ist natürlich kein Bezirk sondern ein Ortsteil (von Köpenick), hat aber immerhin einen eigenen S-Bahnhof – und eine wechselhafte Geschichte.

Steuerflucht in der Gründerzeit

fand damals nicht in Richtung Irland statt, sondern man begab sich aus Berlin hinaus, zur Köpenicker Vorstadt. 1871 zog C. Spindler dorthin mit seiner Wäscherei, die vorher in der Wallstraße lag. Insgesamt kaufte er ca. 30 ha Betriebsgelände, da sind aber bereits Dienstwohnungen und Sozialbauten (Kitas !, Kulturbühnen !) mit eingeschlossen.

Kita von Spindlersfeld
Kita von Spindlersfeld

Warum Köpenick ? Köpenick war bekannt für seine Wäschereien – angeblich wegen der geringen Wasserhärte – und die bekannteste Wäscherin war Mutter Lustig, deren Betrieb angeblich erst 1965 dicht gemacht hat. Am Köpenicker Frauentog (direkt am Schloss) steht übrigens ihr Denkmal.

Mutter Lustig in Köpenick
Mutter Lustig in Köpenick

Spindler hat das jedenfalls groß aufgezogen und  Mutter Lustig das Leben schwer gemacht, aber gegen das Kapital kommt man auch mit noch so viel Fleiß nicht gegen an.

Ab 1892 hatte Spindlersfeld dann auch einen Bahnanschluss, vor allem für die Kohleversorgung und den Wäschetransport (wohl nicht im gleichen Wagen), denn Spindler wusch auch und besonders die Wäsche des Kaiserhofes. Süffisant könnte man anmerken, dass die schmutzige Wäschelauge anschließend am Schloss in Berlin vorbeifloss, aber so empfindlich war man damals nicht.

Konzerne und Enteignung

Im Jahre 1925 gehörte die Wäscherei bereits zum Schering-Konzern, denn man wusch nicht nur, man färbte auch Stoffe – wahrscheinlich mit Chemikalien vom o.G.  Na und ab 1949 hieß die Wäscherei dann VEB Blütenweiß (im Volksmund: mausgrau), einige Zeit später dann Kombinat Rewatex – Sie dürfen raten, was da abgekürzt wurde.

Pförtnerhaus Rewatex
Pförtnerhaus Rewatex

Intermezzo und Neuplanung

Von 1990 – 95 hatte dann die Fa. La Rosé ein Zwischenspiel, und seitdem wird in großem Maßstab an einer Wasserstadt geplant. Zwar nur auf 10 ha, aber das ist schon groß genug.  Was interessant ist, steht leider nicht in der Presse. Hat z.B. La Rosé ähnlich gut verdient wie der Zwischenkäufer des Nalepageländes (ca. 20fachen Preis erwirtschaftet) oder :  wer betreibt die Bodensanierung : das Land oder der Investor ? Nach all den Pleiten, die wir hier in Berlin schon erlebt haben, befürchtet man nichts Gutes – aber ich bin für jeden (auch positiven) Hinweis dankbar.

Kutscherhaus m. Musterwohnungen
Kutscherhaus m. Musterwohnungen (Tudor-Stil teilw. wie bei den Lilienthal-Villen in Lichterfelde, s. meinen Beitrag)

Der Investor (ich sage keinen Namen, aber der Begriff Wasserstadt Spindlersfeld wird Sie hinführen) plant insgesamt 850 Wohnungen, davon allein 350 in den sanierten und denkmalsgeschützten Fabrikgebäuden. Im sog. Kutscherhaus sind sogar schon 17 Musterwohnungen fertig und können besichtigt werden, aber irgendwie tritt das Projekt auf der Stelle, denn eigentlich wollte man 2015 bereits fertig sein. Die Bilder hier lassen diesen Optimismus nicht zu.

Notüberdachung
Notüberdachung

Da man damals in der Planung auf die Sogwirkung des neuen Flughafens BER  baute, könnte man sich also mit der dortigen Schlamperei herausreden, aber billiger werden die Eigentumswohnungen dadurch sicher nicht – der Preis ist eh schon reichlich hoch (3000 – 3500 €/qm).

Scheinbar liegt auf dem Begriff Wasserstadt ein ewiger Fluch, denn in Spandau hängt man auch dem Zeitplan hinterher und in Rummelsburg vermisse ich noch die angekündigten Hausboote, die ja wohl mal wirklich was Neues wären in Berlin.

Bleibt zu hoffen, dass hier nicht noch eine Investitionsruine Berlins entsteht, weil die für alle Beteiligte mal wieder eine Nummer zu groß war.

Denkmal an der Spindlerbrücke über die Spree
Denkmal an der Spindlerbrücke über die Spree

Nachträge

I. Die Söhne vom alten Spindler haben erstmalig in Berlin (gegen einigen Widerstand) durchgesetzt, dass ein Ortsteil nach einem Industriellen benannt wurde, Siemens und Borsig dürfen sich bedanken. Und die vielen Friedrichs- und Wilhelms-Ortsteile wurden schon langsam unübersichtlich.

II. Für Cinéasten sei vermerkt, dass es einen Dokumentarfilm von 1972 über die „Wäscherinnen von Spindlersfeld“ gibt, damals haben immerhin bis zu 4500 Leute dort gearbeitet.

Vorne Spree, hinten Spindlersfeld
Vorne Spree, hinten Spindlersfeld

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Uralter Urberliner. Taxifahrer, Eisenbieger, Schneeschipper, Student, Wagenwäscher, Bananenverkäufer, Bauleiter, Ausbilder, Dozent, Hilfsarbeiter, Operator, Systemanalytiker, Autor, Stadtführer, SES-Experte, Seniorenfahrer, Berliner Schnauze, usw. usw. Ich glaub´, ich habe nichts vergessen . . . . . .

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