Die Stadtbahn in Berlin

Die Stadtbahn in Berlin ist nicht gleichzusetzen mit der S-Bahn – das geht immer wieder durcheinander. Die Stadtbahn ist ein besonderer Streckenabschnitt (des Bahnnetzes) zwischen dem jetzigen Ostbahnhof und dem Bahnhof Charlottenburg. Besonders ist da so Einiges – er steht nunmehr sogar unter Denkmalsschutz – und es gibt darüber eine Menge an Fachliteratur. Aber leider eben derart fachlich, dass die grundsätzlichen Merkmale kaum Eingang in die Tourismus-Führer und/oder Fotobände über Berlin gefunden haben. Hier also der Versuch einer allgemeinverständlichen Kurzdarstellung:

Die Besonderheiten der Stadtbahn

Erstmal rein äußerlich: Die Stadtbahn verläuft quer durch Berlin auf über 600 gemauerten Viadukten in Höhe des 2. OG, lässt also den gesamten Straßenverkehr unter sich. Sie ist damit Europas erste Viaduktbahn, gebaut in einer Zeit, in der es noch keine Autos gab und beschrankte Bahnübergänge die Regel waren (1882).

An der Jannowitzbrücke in Berlin. Dieser Hochbahnhof soll das Muster für die weiteren Hochbahnhöfe der U-Bahn gewesen sein.
An der Jannowitzbrücke in Berlin. Dieser Hochbahnhof soll das Muster für die weiteren Hochbahnhöfe der U-Bahn gewesen sein.

Sie ist von Anfang an viergleisig gebaut worden – 2 x Nahverkehr und 2 x Fernverkehr. Auch das in einer Zeit, in der die überwiegend eingleisigen Strecken noch mit einem „Wanderstab“ betrieben wurden. Damit wurde diese Strecke sozusagen erst zur Keimzelle der S-Bahn, weil hier vorausschauend die Trennung von Nah- und Fernverkehr nicht nur auf dem Fahrplan organisiert wurde. Nebenbei: Der Begriff S-Bahn taucht eigentlich erst ab 1920 auf, zuerst als Stadt-Schnell-Bahn mit der Abkürzung SS-Bahn, was sich netterweise nicht durchgesetzt hat. Übrig blieb aber bloß das grüne S-Logo – – – einigen wir uns also darauf, dass es Schnell-Bahn bedeutet.

altes S-Bahn Schild
altes S-Bahn Schild

Die Historie der Stadtbahn

Mit dem Aufkommen der Eisenbahn als Massenverkehrsmittel entstanden rund um die Altstädte große Bahnhöfe, die zumeist als sog. „Kopfbahnhöfe“ an der Stadtmauer lagen. Berlin hatte um 1870 nicht weniger als acht Kopfbahnhöfe (der bekannteste und schönste war wohl der „Anhalter“ – s. Blog vom 11.7.2013 von sunnykat) und übrigens nie einen Hauptbahnhof!  Das Umsteigen von einem zum anderen Bahnhof damals war Stress pur (hieß damals sicher anders !?) und bescherte dem Droschkengewerbe ein sicheres Einkommen. (Buchempfehlung : Hans Fallada „Ein Mann will nach oben„) Die damalige Idee, zwei Kopfbahnhöfe quer durch die Stadt zu verbinden, führte dann zu den rund 12 km Stadtbahn vom ehemaligen Schlesischen Bahnhof zum Bahnhof Charlottenburg, auf ursprünglich 731 durchnummerierten Bögen von Ost nach West. Diese Stadtbahnbögen Berlins haben ihren eigenen Charme und ihre eigene Geschichte – das wäre ein eigenen Artikel.

Weitere Versuche, andere Kopfbahnhöfe anzubinden, scheiterten an Grundstücksproblemen, denn auch die Stadtbahn musste 1880 schon einen kurvenreichen Verlauf auf dem zugeschütteten Festungsgraben nehmen. Den Nord-Süd-Tunnel (zwischen Stettiner und Anhalter Bahnhof) konnte man früher wegen der Rauchprobleme der Dampfloks nicht verwirklichen, zu den Olympischen Spielen 1936 wurde deshalb nur die abgespeckte Version für die elektrische S-Bahn gebaut. Welt- und Kalter Krieg legten danach die gesamte Bahnplanung Berlins auf Eis.

Zeit der Spaltung

Die Stadtbahn-Trasse hatte über 40 Jahre lang die zweifelhafte Ehre, je zur Hälfte in zwei unterschiedlichen Machtblöcken zu liegen. Die Bögen mussten verstärkt werden, denn die berühmte Taiga-Trommel war um Einiges schwerer als ein heutiger ICE. Über sie ging dann auch der legendäre Paris-Moskau-Express, wobei die Züge nie richtig durchfuhren, denn Russland hat eine andere Spurweite. Nur für Stalin wurde ein einziges Mal (!) – zur Potsdamer Konferenz 1945 – diese Spurweite bis Potsdam durchgenagelt, denn Väterchen Stalin hatte Flugangst und nahm die Bahn.

Durch den Mauerbau wurde alles noch komplizierter, denn nun wurde der auf der Stadtbahn liegende Bahnhof Friedrichstraße zu einer Grenzabfertigungsstation, die an Unübersichtlichkeit kaum zu überbieten war. Diese Situation – und etliche gelungene und gescheiterte Fluchtgeschichten – werden im Tränenpalast  (das war die Abfertigungshalle der GÜSt) sehr eindrucksvoll dargestellt (täglich geöffnet + außerdem gratis !). Aber eine Geschichte wird dort leider nicht erzählt (trotz meiner Hinweise), nämlich die Flucht ganzer Schulklassen mit der Fernbahn vom Bahnhof Friedrichstraße zum Zoo, erlebt und beschrieben von „Kalle“ Richter. Fluchtgeschichten auf der Stadtbahn eben.

Zuganzeiger HBF
Zuganzeiger HBF

Stadtbahn seit 1990

Die Wiedervereinigung hat natürlich alles verändert: Es gibt jetzt einen Nord-Süd-Tunnel, einen Hauptbahnhof, weniger gemauerte Bögen und mehr Stahlbeton, außerdem wurde die Stadtbahn elektrifiziert. Heute fährt auch wieder ein Kurswagen (wird umgespurt) nach Moskau, etwas für ganz Geduldige. Aber wer auch immer das wunderschöne Berlin-Panorama auf der Stadtbahn- Strecke genießt  sollte wissen, dass er auf einem über 130 Jahre alten Denkmal fährt !

About Wolfkamp

Uralter Urberliner. Taxifahrer, Eisenbieger, Schneeschipper, Student, Wagenwäscher, Bananenverkäufer, Bauleiter, Ausbilder, Dozent, Hilfsarbeiter, Operator, Systemanalytiker, Autor, Stadtführer, SES-Experte, Seniorenfahrer, Berliner Schnauze, usw. usw. Ich glaub´, ich habe nichts vergessen . . . . . .

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3 comments

  1. Hoai Wong | der HOAI Gutachter

    Schöne Beitrage die Sie hier zusammentragen.
    Es macht echt Spaß sich in solche Dinge zu lesen wenn man schon so lange in dieser Stadt wohnt. Interesant wäre einen Artikel über die Blindtunnel der U und S-Bahn

    Grüße
    Wong

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