Tanz im August 2013 – Die Jubiläumsausgabe

Ende der Achtziger, noch vor dem Mauerfall, wurde es dringend notwendig ein Tanzfestival in den hiesigen Kulturkalendar zu verankern und dem zeitgenössischen Tanz eine jährliche Plattform zu bieten. 25 Jahre und ein gefeiertes Jubiläum später lädt das mit Abstand sympathischste Tanzfestival Berlins zum Beäugen internationaler Tanzcompanien und allerlei Ausdrucksformen ein. Das Gute von „Tanz im August“ im Vergleich zu anderen Festivals ist, dass die programmatische Ausrichtung nicht ausschließlich auf Tanz reduziert wird: Auch Tanztheater und Sprechtheater sind hier gut augehoben, manchmal mehr, manchmal weniger geglückt.

Dem Jubiläum gebührend, zeigt sich das Festival auch Open Air einschliesslich einigen Gratisveranstaltungen. Den Startschuß, die Vernissage also, gab der Fotokünstler David Michalek mit seinem Projekt „Slow Dancing„, zu sehen bis einschliesslich 01.09.13 um 22:00 Uhr am Gedarmenmarkt. In Slow Motion werden vier Tänzer und Choreographen von einer speziellen Kamera, die ursprünglich für „…ballistische Forschungen des Militärs konstruiert …“ wurde, porträtiert.

Tänzer und Choreographen aus Indien, Belgien, Grossbritanien, Deutschland und anderswo bereichern die Stadt mit allerlei Inszenierungen. Die Bereitschaft programmatische Risiken einzugehen ist eine Konstante in der 25-jährigen Geschichte des Tanzfestivals. Davor bleibt der Zuschauer auch nicht verschont, wenn seine Erwartungen an einen schönen und gleichwohl harmonischen Tanz nicht gerecht, ja enttäuscht werden.

Ein Beispiel davon ist die Performance „CRACKz“ der brasilianischen Kompanie „Grupo de Rua“ (Strassengruppe) vom Choreographen Bruno Beltrão. Inspiriert von den digitalen Medien und damit der Veränderung unserer Wahrnehmung dessen was uns umgibt, gab Beltrão seinen Tänzern den Auftrag „… frisches Material aus dem Web …“ zu sammeln. Nach der Auswertung wurden sie in tänzerische Elemente umgesetzt, ergänzt, verarbeitet. Das Ergebnis davon kann man heute Abend um 21 Uhr in der Volksbühne anschauen. Hier wagt der Choreograph, dass die Zuschauer nicht nur teilweise oder in milden Häppchen, sondern die ganze Zeit während der Aufführung ihrer „Bequemzone“ fern bleiben. Das Licht auf der Bühne wird spärlich eingesetzt. Die Gesichter der Tänzer sind nicht zu sehen. Will heißen: Sowohl die wilde und unübersichtliche Urbanität als auch die frenetische Schnelligkeit des Lebens im Netz hat uns alle zu einer gleichen Masse gemacht, zu Schattenbiographien. Wir tanzen im Schatten unserer Selbst. Da wären wir wieder bei der unbegrenzten Möglichkeiten der Identitätspräsentierung im World Wide Web.

Die Musik wird äußerst spärlich eingesetzt. Wenn, dann hämmert irgendwas oder man hört den Sound wie von sich reibenden Metallstücken. Beides verlangt viel Audauer und die Sehnsucht nach der Erlösung wird minütlich auf die Probe gestellt. Beltrão arbeitet so exakt, dass es dem Zuschauer regelrecht ein Rätsel ist, welche von den tänzerischen Elementen einstudiert und welche improvisiert sind. Herrlich gehen sie ineinander über. Die Einheit der Gruppe, die mit einer einzigen Ausnahme nur aus männlichen Tänzern besteht, ist verblüffend. Auch die langen Augenblicke der leeren Bühne mit der weiter laufenden Musik und spärlichem Licht bleiben nicht aus. Die Performance von Grupo de Rua zeigt unverschönt und nackt die andere Seite der Urbanität und der Anonymität der Grossstädte und des World Wide Webs gleichermassen. „CRACKz“ ist sicherlich nicht für das klassische Vergnügen, aber sehr empfehlenswert und zum Nachdenken anregend.

CRACKz © Stefan Haehnel
CRACKz © Stefan Haehnel
CRACKz © Nika Kramer
CRACKz © Nika Kramer

 

 

 

 

 

 

Zum Abschluß des Programms gibt es in den Ufa Studios (die übrigens auch das Tanzzentrum Berlins beherbergen) die Ausufer-Party für die ganze Familie. Der programmatische Höhepunkt davon mit Aufführungen, Site-Specific-Performances, Installationen u.v.a.m ist am 31.08.13 mit sage und schreibe 12 Stunden Programm.

Wer am HAU1 (Hebbel am Ufer) vergangenen Dienstag Abend vorbei gegangen ist, staunte nicht schlecht, als der Tänzer Tino Sehgal dort auf der grünen Wiese vor einer beachtlichen Menschenmenge tanzte und zwar so wie Gott ihn schuf. Über die Performance selbst kann man kaum getrennter Meinung sein. Die gewollte Vereinbarung zwischen Sprechtheater, Tanz und ein bisschen Unterhaltung ging voll daneben. Eine Regie zur Fixierung der dramaturgischen Ebenen fehlte in eklatanter Weise. Aber auch das ist „Tanz im August“: Stillistische Risiken mit Ergebnis offen. Möge es noch so bleiben: 25 Jahre. Minimum!

About Fatima Lacerda

Kultur, Fußball, Musik sind meine Leidenschaften. Reiseberichte sind ein Genuss!

Check Also

goldige Schmuckstücke (Bild von anna2005 auf Pixabay)

Alte Münzen, Uhren, Bücher – wohin damit?

Vor allem beim alljährlichen Frühjahrsputz tauchen oft Gegenstände auf, von denen man im Leben nicht …

No comments

  1. Fatima Lacerda verfügt über ein breites journalistisches Spektrum, sie ist gut informiert, bringt die Dinge auf den Punkt und scheut sich nicht, ihre eigene Authentizität „rüberzubringen“, wodurch die Artike interessant und gut nachvollziehbar werden.

    ein großes Dankeschön

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.