Der Bürgermeister ist tot – Es lebe der Bürgermeister / Das Hoffest im Roten Rathaus

Auf den Weg zum Alexanderplatz, an der Ampel stehend, fallen mir die diversen Stände um das rotes Rathaus auf. Aha – das muss das jährlich Hoffest sein. Jedes Jahr findet es früher statt – 2009 war es noch in der zweiten Septemberwoche. Neben mir, auch wartend bis die Ampel endlich grün wird, ist ein Mann, Mitte 50, mit einem Megaphon in der Hand und zunehmend in Eile. Später stellte sich heraus, dass er der Sprecher der unzähligen Menschen aus Großbeeren, Lichtenhagen und anderen Orten war, die sich vorgenommen hatten, eine Menschenkette um das rote Backsteingebäude zu bilden, um ihren Unmut über das Flughafendesaster Luft zu machen.

Davor wurde aber jede Menge Krach gegen den Krach des BER-Flughafen gemacht. Gegen das endloses Projekt protestierten einige. Andere widerum liefen mit einem Besen auf der Schulter herum. Auf die Frage warum, lautete prompt die Antwort: „Das Rote Rathaus auskehren“, während Sprechchöre unisono brüllten: „Der Klaus musst raus!“. Vor dem Hofeingang mischten sich Polizisten, Ordner, Gäste des Bürgermeisters sowie „ungebetene Gäste“, die angereist waren, um ihrer Wut mittels Musik, Sprechchören und lautem Pfeifen Ausdruck zu verleihen.

Ein geradezu bizarres Szenario ergab sich an diesem sonnigen Nachmittag zwischen den Betroffenen und jenen, die von lästigen Themen wie der Planungsmisere des BER-Flughafens oder dem nach dem aktuellem Zensus bekanntgewordenen Finanzloch, nichts wissen wollten. Es leben 180.000 Menschen weniger in Berlin als ursprünglich angenommen. Das macht sich in den Steuereinnahmen bemerkbar. Der parteilose Finanzsenator Nußbaum muss wieder mahnende Worte an die Adresse der Senatsverwaltungen richten, um eine Haushaltssperre doch noch zu verhindern.

Aber am Dienstagabend galt das Gebot „sich zu amüsieren“, wie Gastgeber Wowereit höchspersönlich vor laufender RBB-Kamera in der Abendschau mitteilte. Der Sender fungierte an diesen Abend unpassenderweise als Hofberichterstatter, so übervorsichtig und oberflächlich waren die Fragen des Moderators Sascha Hinze. So z.B. um wieviel Uhr der Bürgermeister aufgestanden sei, daraufhindeutend, wie lange er  „aushalten würde“, da er doch den Ruf genieße, immer der Letzte zu sein, der eine Party verlässt. „… Da gibt es auch andere…“ ließ der Bürgermeister schmunzeld verlauten.  Auch die Bemerkung Wowereits in Bezug auf die Demonstranten ließ der Moderator ohne Nachfrage gelten: „Wenn man gegen Lärm protestiert und selbst Lärm macht (damit meint er die Trillerpfeifen der Demonstranten), verliert man an Glaubwürdigkeit“ so der Bürgermeister. Nach diesem Interview dürften die Telefonleitungen des Senders heiss gelaufen sein vor lauter aufgebrachten Zuschauern, die regelmäßig die GEZ-Gebühren entrichten.

Aber auch die unkritische Berichterstattung des RBB an diesem Abend kann nicht verleugnen: Vor der Kamera steht ein gesichtsloser Politiker, ein Bürgermeister ohne Rückhalt – weder in großen Teilen seiner eigenen Partei, der SPD, noch in der Bevölkerung. Wowereit wird von den Berlinern höchstens geduldet, aber keineswegs für einen fähigen Politiker gehalten, der die Probleme dieser Stadt in den Griff bekommen kann. Wowereit hat offenkundig vergessen, dass die Macht in der Politik nur vorübergehend von den Wählern geliehen wird. Auch die Beteiligung der privaten Wirtschaft in Form von edlen Restaurants und Brauereien beim jährlichen Hoffest trägt nicht gerade zur Regierungstransparenz im Roten Rathaus bei.

Bundespräsident Joachim Gauck ging bei seinem ersten Bürgerfest 2012 mit einem guten Beispiel voran. Er verzichtete gänzlich auf Sponsoren der privaten Wirschaft, taufte den „Empfang des Bundespräsidenten“ in ein „Bürgerfest“ um. Die Gastronomie war dort kaum vorhanden, dafür wurde das Schloß für alle Bürger der Republik zugänglich gemacht, mit einem über so viel Zuspruch der Bevölkerung sichtlich erfreuten Präsidenten. Mit dieser Erneuerung des Ausrichtens des Bürgerfestes sendete Gauck an die Adresse der Berufspolitiker ein wichtiges Signal. Leider wurde dieses, wie viele andere wichtige Signale, vom berliner Bürgermeister übersehen. Es fällt manchen sicherlich leichter den „lästigen Kram zu vergessen“: Die zunehmende Armut, das fortgeschrittene Stadium der Gentrifizierung in vielen Bezirken und allemal das ganze Malheur um das leidige Thema BER und ob der Horst (Amann) geht oder doch noch vom eitlen Chef Hartmut Mehdorn weiter geduldet wird. Es mag sogar sein, dass es der restlichen Welt schnuppe ist, ob und wann der Flughafen fertig wird, denn bekanntlich führen alle Wege nach Berlin.  Aber mit seiner Hartnäckigkeit im Amt zu bleiben, um das Fortbestehen des Regierungsstils „Schwamm drüber“ zu sichern, schadet der regierende Bürgermeister auf langer Sicht der politischen Kultur insgesamt und fördert noch mehr Politikverdrossenheit. Schlimmer noch: Es nimmt den hier lebenden Menschen die Zuversicht an einer zukunftsfähigen Stadt und zwar ohne Dauerpleiten und Pannen.

Hier noch ein paar Bilder von den Demonstrationen am Roten Rathaus:

About Fatima Lacerda

Kultur, Fußball, Musik sind meine Leidenschaften. Reiseberichte sind ein Genuss!

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No comments

  1. Anne Lüdecke

    Guter Artikel mit Beobachtungsgabe und Sinn für das Wesentliche sowie Mut Stellung zu beziehen.

  2. Der Abendschau Moderator heißt Sascha Hingst und nicht Sascha Hinze 🙂

    • Fatima Lacerda

      Mein Fehler, Rebecca. Gut uffjepaßt. Danke für die Info!
      Die Tatsache dass die Sendung immer mehr Zuschauer verliert und gegenwärtig gerade mal 23% Marktanteil hat, zeigt seine Folgen!!

      Beste Grüße

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